68/10-17
(Oktober 2002)

Francoise Hardy

Sie wurde zum Mythos

von Walter Hilbrecht

Als Francoise Hardy am 19.11.1962 mit ihrem selbstkomponierten Lied "Tout les garcons et les filles" zum ersten Mal im französischen Fernsehen auftritt, löst sie vor allem bei den jugendlichen Zuschauern ein unerwartetes Echo aus. Der Song macht die Sängerin über Nacht zum Star und wird zur Hymne einer ganzen Generation.

Francoise Hardy

Francoise Madeleine Hardy kommt am 17.01.1944 in Paris zur Welt. Nach der Schule beginnt sie ein Germanistik-Studium an der Sorbonne und möchte Lehrerin werden. Zum Abitur bekam sie von den Eltern eine Gitarre geschenkt und da sie in ihrer Freizeit schon immer Gedichte und Songtexte verfasst hatte, fängt sie nun an, diese zu vertonen. Es sind einfache, meist melancholische Liedchen, in denen sie all ihre Gefühle, Hoffnungen und Wünsche auszudrücken versucht. Obwohl sie eher schüchtern ist, nimmt sie auf Anraten von Freunden an einem Talentwettbewerb teil und wird Ende 1961 von der Schallplattenfirma Vogue unter Vertrag genommen. Ein Jahr später gibt sie dann ihr TV-Debüt.

Da steht also eine Achtzehnjährige und singt davon, dass sie sich allein fühlt unter all den verliebten und glücklichen Jungs und Mädchen um sie her. Ein ganz alltägliches Thema, mit dem sie viele Gleichaltrige anspricht, denn wer hätte so etwas nicht auch schon mal erlebt?

Francoise singt mit ernstem Gesicht. Ein Hauch von Schwermut und Tristesse scheint sie zu umgeben. Sie macht keine großen Gesten, wirkt authentisch. Die meisten Jugendlichen können sich mit ihr identifizieren. Man glaubt ihr, was sie singt. Und genau das ist ausschlaggebend für ihren Erfolg.

Auch ihr Aussehen macht sie interessant. Ihr ausdrucksstarkes Gesicht mit den hohen Backenknochen, das lange Haar, das verspielt auf die Schultern fällt, ihre Ponyfransen, hinter denen sich die Augen fast zu verstecken scheinen.

"Tout les garcons ..." wird ein Riesenhit in Frankreich und vielen anderen Ländern. Sogar in Großbritannien landet die Aufnahme in den Charts. Und auch in Deutschland. Dabei haben es Lieder in französischer Sprache seinerzeit schwer bei uns. Wohl deshalb produziert man auch eine deutsche Fassung mit dem Titel "Peter & Lou". Textautor Ernst Bader hielt sich eng an die Vorlage und so bleibt die Aussage des Songs weitgehend erhalten. Beide Versionen halten im April bzw. Mai Einzug in die Bestsellerlisten. Selbst die Rückseite der deutschen Fassung "Ich steige dir aufs Dach" entwickelt sich zum Hit. Es handelt sich hierbei um einen Schlager, den Bärbel Wachholz bereits 1959 in der damaligen DDR aufgenommen hatte. Außerdem wurde er bei uns im Sommer 1962 von Vivi Bach in dem Film "Verrückt und zugenäht" gesungen. Weshalb die bundesdeutsche Plattenindustrie plötzlich Interesse an einem schon älteren DDR-Schlager zeigte, erscheint im Nachhinein rätselhaft, doch die Hintergründe lassen sich nach all den Jahren wohl kaum noch aufdecken.

Am 23.3.1963, zu einem Zeitpunkt also, an dem sich "Peter & Lou" gerade kurz vor dem Einstieg in die deutschen Charts befindet, nimmt Francoise Hardy für Monaco am Grand Prix d'Eurovision teil.

Mit "L'amour s'en va", wieder von ihr selbst geschrieben, landet sie auf Rang 5. In der deutschen Fassung, die auch diesmal von Ernst Bader getextet wird, kommt das Stück als "Die Liebe geht" auf den Markt und hat es natürlich ziemlich schwer, da die Plattenkäufer zu diesem Zeitpunkt die ersten Aufnahmen der Französin vorziehen.

Durch weitere Fernsehauftritte, beispielsweise in der Peter-Kraus-Show "Hallo Peter", gewinnt die Sängerin immer mehr Anhänger bei uns. Die Fachpresse zeigt sich ebenfalls beeindruckt und schreibt: "Wenn man ein Lied mit Francoise kennt, dann kennt man alle. Trotzdem kriegt man nie genug von ihr."

Doch ihre Popularität in Deutschland ist nichts im Vergleich zu dem Status, den sie zu dieser Zeit in Frankreich innehat. Dort ist sie wirklich ein Idol und hat mittlerweile eine eigene Fernsehshow. Bei ihren zahllosen Auftritten wird sie umjubelt und gefeiert. Es dauert dann auch länger als ein Jahr, bis sie eine neue deutsch gesungene Platte herausbringt. Der A-Titel "Wer du bist", mit dem man sie in der TV-Sendung "Rendezvous am Rhein" sehen und hören kann, stammt von dem Autorenteam Werner Scharfenberger & Fini Busch und entwickelt sich zu einem respektablen Hitparadenerfolg. Bei diesem Song zeigt sie sich rhythmischer als gewohnt und BRAVO meint: "Selbst wenn sie auf Beat macht, schmecken ihre Melodien immer ein bisschen bittersüß."

Bereits zu diesem Zeitpunkt ist sie auch in England groß im Kommen und gilt bald darauf als Attraktion. Sie wird dort von Charles Blackwell produziert und kann sich im Januar 1965 mit der Beatnummer "Et meme" in den britischen Charts platzieren, was französischen Künstlern eher selten gelingt. Mit der melancholischen Ballade "All Over The World", die später bei uns als "Ein Fenster wird hell" veröffentlicht wird, gelingt ihr anschließend ein noch größerer Treffer. Sie tritt in Londons berühmtem Varieté- und Showtheater "Palladium" auf und trifft natürlich auch die Beatles und die Stones, was ihr pressemäßig zu großer Publicity verhilft. "Diese Begegnungen seien jedoch nur flüchtig gewesen und keineswegs so intim, wie es in den Medien dargestellt worden wäre", erklärt sie später. Und als dann Bob Dylan bei seinem ersten Auftreten in Paris sich ein Treffen mit Francoise wünscht, erklärt sie sich zwar dazu bereit, zeigt sich von dem Folk-Star aber ansonsten nicht weiter beeindruckt. Zurück nach Deutschland: Hier ist inzwischen Fernsehregisseur Truck Branss auf die aparte Französin aufmerksam geworden. 1965 dreht er mit ihr in der Reihe "Porträt in Musik" eine Personality-Show.

Noch heute erinnert er sich gern an die angenehme Zusammenarbeit mit der Künstlerin: "Francoise war ein ungewöhnlich interessantes Mädchen", meint er rückblickend. "Ich brauchte ihr kaum Anweisungen zu geben. Sie wusste auch so, worauf es ankam. Eine kleine Bewegung von ihr, ein Zurückwerfen ihrer Haare sagte mehr, als manche dramatische Geste anderer Interpreten."

Francoise Hardy 2

Doch während der Dreharbeiten kommt es dann unerwartet zum Krach. Man braucht nämlich für die Show eine schöne neue Melodie und Truck Branss holt aus seiner Schublade ein Lied hervor, das seiner Meinung nach dafür geeignet ist.

"Ich fand dieses Lied großartig, hatte aber bisher nicht den richtigen Künstler dafür gefunden und zu Francoise passte es einfach hervorragend", erzählt er, "Ich spielte ihr die Nummer auf dem Klavier vor, aber ihr gefiel das Stück überhaupt nicht und sie sagte, dass sie so eine dumme Melodie niemals singen würde."

Alle Versuche, Francoise Hardy umzustimmen, schlagen fehl. Da sie aber vertraglich dazu verpflichtet ist, sich nach den Wünschen der Produktion zu richten, erklärt sie sich schließlich bereit, den Titel aufzunehmen. Er heißt "Frag den Abendwind" und bringt ihr den großen Durchbruch in Deutschland. 24 Wochen lang hält sich der Song in den Charts und steigt bis auf Platz 7. In der BRAVO-Musicbox erreicht er sogar Platz 5. Und das zu einer Zeit, in der vor allem Beatgruppen den Ton angeben.

Als Komponist von "Frag den Abendwind" ist auf dem Plattenetikett ein gewisser "Gordoni" angegeben. Dahinter verbirgt sich Otto Demler, der nicht nur ein erfolgreicher Produzent ist, sondert unter dem Pseudonym Bert Olden auch viele Hits schrieb, z.B. "Santo Domingo" für Wanda Jackson. "Frag den Abendwind" ist somit ein echter deutscher Schlager, was damals aber kaum jemand vermutet.

Francoise Hardy zählt nun auch hierzulande zu den Topstars und landet bei der BRAVO-Umfrage nach den beliebtesten Sängerinnen hinter Manuela auf Platz 2. Dafür wird sie mit dem "Silbernen Otto" ausgezeichnet. Mit ihrer nächsten Single "Ich bin nun mal ein Mädchen" kann sie erfolgreich nachlegen und absolviert anschließend eine große Deutschland-Tournee.

Fast in ganz Europa von Italien bis Skandinavien ist die Französin zu dieser Zeit populär. Egal, ob sie in einer modernen TV-Show wie "Ready, Steady, Go" auftritt oder ob sie in noblem Ambiente vor einem exklusiven Publikum singt – für beide Gelegenheiten wählt sie dasselbe Repertoire und dieselbe Garderobe. Damit beweist sie, dass ihr ganz persönlicher Stil und ihre faszinierende Ausstrahlung den Erfolg ausmachen.

Francoise Hardy ist aber nicht nur als Sängerin und Autorin gefragt, auch als Schauspielerin macht sie sich einen Namen. Sie spielt Rollen in so berühmten Streifen wie der Sagan-Verfilmung "Ein Schloss in Schweden" oder in der Hollywood-Produktion "Grand Prix", einem groß angelegten Rennfahrer-Spektakel. Doch auch in kleineren Filmen wie "Une balle dans le coeur", der nie in die deutschen Kinos kam, wirkt sie mit.

1968 nimmt sie für Frankreich am internationalen Song-Festival in Rio teil und 1969 bringt sie nach längerer Pause auch wieder Platten in deutscher Sprache heraus, diesmal bei Philips. Mit "Souvenirs der ersten großen Liebe" kann sie sofort wieder an ihre einstigen Erfolge anknüpfen.

Francoise Hardy 3

Für Schlagzeilen sorgt während dieser Zeit vor allem ihre Liaison mit dem französischen Sänger und Schauspieler Jacques Dutronc. Die Beziehung der beiden pendelt unentschlossen zwischen Freundschaft und Liebe und bleibt letztlich ohne Happyend.

Weitere Aufnahmen in Deutsch mit der Sängerin gibt es erst wieder 1973. Produzent Rainer Pietsch bemüht sich zusammen mit Michael Holm, ihr hier zu einem Comeback zu verhelfen, was aber nicht gelingt.

In den 80er Jahren befasst sich Francoise Hardy intensiv mit der Astrologie, schreibt Bücher darüber und erstellt für einen Radiosender täglich Horoskope. Im Lauf ihrer Karriere hat sie dem französischen Chanson viele neue Impulse beschert. Noch heute veröffentlicht sie von Zeit zu Zeit neue Alben, die zeigen, dass die Interpretin an zeitgenössischer Popmusik interessiert ist und sich davon auch beeinflussen lässt.

Mit den Jahren wurde die Künstlerin immer unnahbarer und lebt sehr zurückgezogen. Ihre alten Songs hält sie heute für belanglos. Deshalb hat sie sich auch lange gegen eine Wiederveröffentlichung ihrer einstigen deutschen Aufnahmen gesträubt. Doch im vergangenen Jahr erschien endlich eine CD, auf der neben französischen Hits sämtliche deutschen Single-Titel, die von 1963-1966 bei Vogue erschienen, enthalten sind. Zusätzlich gibt es noch die deutsche Fassung von "Oh, Oh, Cherie", die nie auf Single herauskam. Die CD heißt "Frag den Abendwind" und erschien bei BMG/Ariola (Bestell-Nr. 74321 84442 2)