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(Oktober 2002)

Die Michael Heymann-Story

von Andreas Herkendell

"Erst kam ein verliebter Blick" - ein Schlager, der vielen Oldie-Fans in der Fassung mit Marika Kilius bekannt ist, wurde ursprünglich von Michael Heymann interpretiert. Überhaupt, spricht man über Michael Heymann, befindet man sich inmitten der deutschdeutschen Schlagergeschichte. Denn Michael Heymann sang Schlager in beiden Teilen Deutschlands. Geboren wird er am 9. August 1939 in Leipzig. Seine Mutter arbeitete am Schauspielhaus in Leipzig, sein Vater lebte als ehemaliger SS-Angehöriger im Westen. Zunächst ist er Schlosserlehrling, dann in Schlangenlinien durch verschiedene Berufe auf die Bühne, dann Straßenbahnschaffner, dann Kellner, dann wieder Sänger, usw. An der Parteischule beginnt er ein Psychologiestudium, dann ein Musikstudium in Leipzig (Gesang bei Charlotte Wenzel). Bei der ersten Prüfung bei der Kommission für Veranstaltungen des Ministeriums für Kultur der DDR fällt er durch. In der Kommission sitzen u.a. Bärbel Wachholz und Fred Frohberg. Michael Heymann erinnert sich an Disziplinierungsmaßnahmen für Bärbel Wachholz. Es soll um Drogen gegangen sein...

Michael Heymann

Nachdem er Abteilungsleiter für Kultur in Bad Langensalza gewesen ist, bekommt er 1965 den Berufsausweis als Sänger. Erste Erfolge stellen sich ein, nachdem er als schlagzeugender Sänger mit dem Benny Baré-Quintett auftritt. 1965 veröffentlicht AMIGA seine erste Single "Der Mann deiner Träume". "Erst kam ein verliebter Blick" ist seiner Meinung nach der erste "Shake" der in der DDR veröffentlicht wurde.

Als Solist bringt er es auf insgesamt 5 AMIGA-Singles (mit acht Titeln), darunter die Mal Sondock-Nummer "Lass die Sonne nicht seh'n, dass du weinst". Michael Heymann erinnert sich außerdem an 7 Rundfunkaufnahmen, u.a. "Komm Baby, auf die Achterbahn". Sein größter Erfolg: Im Juni 1966 belegt er mit "Frag nicht" beim DDR-Schlagerwettbewerb den dritten Platz. Mit dem gleichen Titel erreicht er beim fünften Internationalen Schlagerfestival in Rostock den zweiten Platz. "Frag nicht" ist für Michael Heymann eher ein ungewöhnlicher Titel, wurde er doch wegen seines kantigen Aussehens und wegen seiner rhythmischen Musik als "Dampfhammer" bezeichnet.

Diese Erfolge und sein Ausweis als Parteimitglied dürften mit dazu beigetragen haben, dass er 1966 an einer Tournee ins Ausland teilnehmen darf. Es geht zu einer Messe in Algier. Mit dabei Ruth Brandin und das Benny Baré-Quintett. Dort (September 1966) nutzt er die Situation und setzt sich mit Hilfe der dortigen Schweizer Vertretung gen Westen ab. Für Heymann damals ein Glücksmoment, für die restlichen DDR-Künstler auf Nordafrika-Tournee eine Katastrophe, werden sie doch nun umso misstrauischer von den Herren der "Firma" beobachtet...

Die Nachricht von der Republikflucht erreicht Ost-Berlin in Windeseile. Fernsehshows, für die Michael Heymann bereits engagiert war, müssen nun neu besetzt werden. Und seine Schlager landen auf der schwarzen Liste, werden nicht mehr im Radio gespielt.

Während seine Schallplattenaufnahmen immerhin noch archiviert bleiben, geht man mit den Rundfunkproduktionen rigoroser vor. Die Tonbänder werden kurzerhand gelöscht. "Schluss aus fini passé" oder "Ein Mädchen wie Angelika", Schlager, mit denen Michael Heymann in den DDR-Spitzenparaden platziert war, liegen seitdem nur noch als Orchesteraufnahmen vor.

Nach seinen Beweggründen befragt, antwortet Michael Heymann, er wollte das westliche Publikum erobern. Es waren nicht so sehr politische Gründe. In der DDR war man als Sänger anerkannt, wenn man ein breites Spektrum in seinem Repertoire hatte. In der BRD muss man eher bei seinen Leisten bleiben.

Nach seiner Flucht findet Michael Heymann als erstes Unterkunft bei einer Tante in Köln und arbeitet in der gleichen Diskothek wie Ray Miller. Er stellt sich verschiedenen Schallplattenfirmen vor. Ohne Erfolg. Bis er bei Kurt Feltz vorstellig wird. Dort sitzt Günter Krenz (Programmgestalter beim WDR), der ihn deswegen kennt, da dieser eine Hörfunkreihe über Festivals in Europa betreut und dabei auch den damaligen Ostblock mit einbezieht. Krenz überzeugt Kurt Feltz, es mit dem Flüchtling zu versuchen. Die erste Platte im Westen erscheint bei Telefunken. Die nächsten Platten erscheinen bei der EMI. Es folgen Fernsehauftritte, in der "aktuellen Schaubude" ("Weinen sollst du nicht") oder in der "ZDF-Hitparade" ("Du oder keine"). Da Michael Heymann in Interviews einen eigenen Standpunkt vertritt und sich nicht an die üblichen Klischees hält ("Endlich in der Freiheit"), eckt er an. Ob die Entscheidung von Kurt Feltz, Heymanns Lebenslauf immer wieder in den Texten anklingen zu lassen, die richtige war, ist zumindest fragwürdig.

1972 beendet Michael Heymann seine Plattenkarriere. Wann er den Titel "Ich hab‘ mein Telefon ermordet" aufgenommen hat, weiß er nicht mehr.

Durch Vermittlung von Günter Krenz macht Michael Heymann auch eine Moderatoren-Karriere bei WDR 1, WDR 2 und NDR 1. Ab 1968/69 hat er wöchentliche Sendungen. Sie heißen "Minimusikalische Unterhaltung" (WDR 2), "Musikalische Unterhaltung" (WDR 2), "Die Deutsche Platte" (WDR 1) und "Treffpunkt Studio 35" (WDR 2). Mal Sondock lief damals parallel auf WDR 1. Bis 1977 arbeitet Michael Heymann als freier Mitarbeiter beim WDR. Es gab damals 250 DM pro Sendung.

Gleichzeitig zur Platten- und Radiokarriere (1969) wird er Mitglied des "Blue Note Quartetts", einer Combo, die regelmäßig im "Blue Note" in Wuppertal auftritt. Später ist er Inhaber einer Diskothek in Dortmund. Er muss allerdings den Laden schließen.

Zur Zeit ist Michael Heymann im Generationen-Bildungswerk Graue Panther Nordrhein-Westfalen e.V. als Dozent tätig. Er lehrt Politik, Kommunikation/Motivation und ist ab und zu Diskjockey für Veranstaltungen der Grauen Panther.

Für Michael Heymann war die Plattenkarriere eine schöne Episode in seinem Leben. Er hat viele verschiedene Berufe ausgeübt. Nach einem roten Faden im Leben befragt, antwortete Michael Heymann: Sensibilität, er habe viel Liebe zu geben, und sei stolz auf seinen Weg: "Wer mit Singen Geld verdienen kann, der kann es auch mit anderen Tätigkeiten. Ich habe mich nie vor Arbeit gescheut. Aber: Es zählt das Hier und Heute."