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(März 2001)

Anita Lindblom

Mit Stimme und Sex-Appeal

von Walter Hilbrecht

Als Anita Lindblom am 14.12.1937 in Gävle geboren wird, ist ihre Mutter Elsy gerade 17 Jahre alt. Zwei Jahre später geht Elsy nach Stockholm, um dort einen Job anzunehmen. Die kleine Anita kommt derweil zur Großmutter nach Uppsala. Hier bleibt sie bis zu ihrem achten Lebensjahr. Erst dann holt die Mutter sie zu sich nach Stockholm. Dort besucht Anita eine Ballettschule und erhält außerdem Klavierunterricht. Zunächst ist sie mit Begeisterung bei der Sache, doch als später die Anforderungen immer größer werden, gibt es häufig Tränen, bis sie schließlich ganz die Lust verliert weiterzumachen. Nach Beendigung der Schule beginnt sie mit 14 Jahren in einem Juweliergeschäft eine Ausbildung als Goldschmiedin. Diese bricht sie jedoch vorzeitig ab und arbeitet stattdessen als Verkäuferin in einem Plattenshop.

Anita Lindblom

Im Stockholmer Tanzpalast "Nalen" beteiligt sie sich an einer Miss-Wahl und erregt immerhin soviel Aufsehen, dass sie als Tänzerin für das hauseigene Can-Can-Ballett engagiert wird. Schritt für Schritt arbeitet sie sich nach vorn und schafft den Sprung von der Revue ins Schauspielfach. Nach ersten Erfolgen auf der Theaterbühne ist sie bald auch auf der Kinoleinwand zu bewundern.

Dadurch wird sie auch für die Schlagerindustrie interessant. Allein ihre Popularität und ihr Aussehen hätten ihr wahrscheinlich schon zu einem Plattenvertrag verholfen. Doch Anita hat außerdem noch musikalisches Feeling und eine unvergleichliche Stimme vorzuweisen, was ihre Chancen, sich auch als Sängerin durchzusetzen, erheblich vergrößert. So kann sie denn auch 1960 mit der schwedischen Fassung von "Milord" bereits einen ersten Hit verbuchen. Ein Jahr später bringt sie dann "San't är livet" heraus, einen amerikanischen Gospelsong, der im Original "You can have him" heißt.

Von Schwedens großer Abendzeitung "Expressen" wird die Aufnahme zunächst mit negativer Kritik überschüttet. Daß sie sich dennoch zu einem Riesenerfolg entwickelt und bald alle schwedischen Hitparaden anführt, verdankt Anita Lindblom dem Piratensender "Radio Nord", der den Song kräftig powert, indem er ihn mehrmals täglich über den Äther schickt. "Radio Nord" sendet von einem Schiff im Baltischen Meer aus und wird überwiegend von jungen Leuten gehört, denn der Schwedische Rundfunk bringt nur wenig Popmusik.

Als der Erfolg von "San't är livet" nicht mehr aufzuhalten ist, sieht sich sogar "Expressen" veranlasst, die unfreundlichen Worte zurückzunehmen und widmet dem Lied und der Interpretin als Wiedergutmachung einen ausführlichen Bericht.

Anita Lindblom wird bald darauf zur besten Sängerin gekürt und kann für die hervorragenden Plattenumsätze Edelmetall entgegennehmen.

Grund genug, die rothaarige Schwedin auch in Deutschland an den Start zu schicken. Unter der Leitung des Philips-Produzenten Ernst Verch nimmt sie im Februar 1962 im Berliner "Esplanade", einem ausgebombten Hotel nahe der im Jahr zuvor errichteten Mauer, ihren Hit in Deutsch auf.

"Was ist das denn?", fragt sie sich verwundert, als sie zum ersten Mal dieses seltsame und von außen wenig einladende Gebäude sieht. Doch darin verbirgt sich ein modernes und technisch perfekt ausgestattetes Tonstudio und nun muss die Schwedin zeigen, ob sie die deutschen Texte ihrer Lieder beherrscht, denn zum Lernen hatte sie nur drei Tage Zeit.

Das Ergebnis kann sich jedenfalls hören lassen. Aus "San't är livet" wird "Lass die Liebe aus dem Spiel". Aber auch die Rückseite "Ein bisschen Mut" ist eine musikalisch wie textlich einfallsreiche Schlagerkreation, so dass die Chancen für Anitas deutsches Plattendebut nicht schlecht stehen.

Nach einigen TV-Sendungen kann sich die Single im April 1962 in den Charts platzieren und erreicht als höchste Notierung Rang 13. Im Nu gehört Anita Lindblom zu den beliebtesten Sängerinnen, nicht nur beim Publikum, sondern auch bei Funk und Fernsehen. Mit Charme und Eleganz, Sinnlichkeit und Selbstbewusstsein verkörpert sie einen völlig neuen Frauentyp und sorgt mit ihrer dunklen und aufregenden Stimme für erotische Tupfer in der Schlagerunterhaltung. Harald Vock vom NDR ist davon ganz besonders angetan. Immer wieder holt er die rassige Schwedin vor die deutschen Fernsehkameras. Noch heute erinnert sich Anita Lindblom gerne an die aufwendigen Shows, die mit phantasievollen Dekorationen, wunderschönen Kostümen und sorgfältig choreographierten Ballettszenen ein Millionenpublikum vor die Bildschirme lockten.

Anita Lindblom 2

Harald Vock will die Sängerin aufgrund der stimmlichen Ähnlichkeit zu einer zweiten Zarah Leander aufbauen, sie aber ist stolz darauf, dass sie inzwischen "Die Lindblom" ist und wehrt sich dagegen, auf ein bestimmtes Gleis geschoben zu werden.

1963 schreiben Karl Götz und Kurt Hertha für sie den Titel "Cigarettes", der ganz unverhohlen den Genuss des Rauchens propagiert. Heutzutage hätte so ein Song nur wenig Chancen, im Radio überhaupt gespielt zu werden und daran sieht man, wie sich die Zeiten ändern. Damals nahm niemand Anstoß an dem Text und der Titel entwickelte sich zu einem Bestseller. Anita Lindbloms gekonnte Interpretation dürfte nicht nur den Plattenverkauf, sondern auch den Zigarettenabsatz seinerzeit kräftig angekurbelt haben. Mit der Bert Kaempfert-Komposition "Dankeschön", die auch von Ivo Robic und Angelina Monti veröffentlicht wird, schafft sie Ende 1963 ihre letzte Hitparadennotierung bei uns. Alle weiteren Platten sind allenfalls Achtungserfolge.

Im Herbst 1965 bringt sie eine LP auf den Markt, die schon durch ihren Titel "Musik (S)exklusiv" ein bisschen aus dem Rahmen fällt. Darauf singt sie u.a. Evergreens von Friedrich Hollaender, Franz Grothe und Michael Jary. Doch auch damit geht es nicht wieder aufwärts. Ihre große Zeit in Deutschland scheint vorüber zu sein.

Ganz anders in Schweden: Dort läuft es mit ihrer Karriere wie geschmiert. Sie macht Platten, dreht Filme, tourt durch die Folk-Parks, tritt zwischendurch immer wieder im Fernsehen auf und zählt zu den Top-Stars der skandinavischen Showszene. 1968 wird sie als beste Entertainerin mit der "Anna-Lisa" ausgezeichnet. Das ist ein Preis, ähnlich dem "Oscar" in den USA oder dem "Bambi" bzw. "Telestar" bei uns. Das Magazin "Se" wählt sie zur Frau des Jahres.

Mit "La Bambola" und "Weiße Perlen" - produziert von Klaus Lorenzen für Metronome - versucht sie ein Comeback in Deutschland. Als das jedoch nicht auf Anhieb gelingt, gibt es von ihrer Seite aus keine weiteren Bemühungen in dieser Richtung.

Anita und die Männer

Eine so hinreißende Frau mit einer so besonderen Ausstrahlung wie Anita Lindblom schafft es natürlich spielend, dass ihr die Männerwelt zu Füßen liegt. Nicht ohne Grund wird sie von der Presse "Sexkatze aus Schweden" genannt. Tatsächlich sind ihre Beziehungen selten von längerer Dauer. Zwar ist das Feuer schnell entfacht, doch nach heftigem Aufflackern verglüht es zumeist ebenso rasch. So profitieren vor allem die Klatschspalten der Illustrierten von ihren wechselnden Liebschaften.

Anita Lindblom ist noch keine siebzehn als sie Sven Lykke trifft: Das kleine Revue-Girl und der berühmte Ballettmeister. Durch die intensive Zusammenarbeit kommen sich die beiden rasch näher und bald läuten die Hochzeitsglocken. Eigentlich aber nur des- halb, weil Anita schwanger ist. Nach der Geburt eines Sohnes im Mai 1955 trennt sich das Paar.

Anita kehrt zurück zum Theater und arbeitet zunächst wieder als Tänzerin. Die Mädchen vom Ballett sind bei den Stockholmer Playboys heißbegehrt und so warten diese Abend für Abend in ihren Luxuslimousinen am Bühneneingang.

Anita Lindblom ist kein Kind von Traurigkeit und Vergnügungen dieser Art nicht ab- geneigt. Doch darüber hinaus besitzt sie eine gehörige Portion Ehrgeiz und will weiterkommen. Das schafft sie auch. 1957 gibt sie in der "Scala", einem renommierten Theater in Stockholm, ihr Debüt als Schauspielerin. Das Stück "Svenska flickan kysser med öppen mun" (Schwedische Mädchen küssen mit offenem Mund), in dem sie die Hauptrolle spielt, wird zu einem Riesenerfolg und verhilft ihr zum Durchbruch. Bald ist sie ein umjubelter Star und lernt dadurch viele Leute kennen. Männer vor allem.

Nach einer heißen Affäre mit dem Posaunisten Ake Persson, die einen Sommer lang dauert, wird die Begegnung mit dem Sänger Gunnar Wiklund 1960 zum Ausgangspunkt für ein weiteres erotisches Intermezzo. Nach 6 stürmischen Monaten ist auch damit Schluss. Ake Persson macht sich später durch seine Zusammenarbeit mit Quincy Jones in Paris einen Namen. Gunnar Wiklund kann sich 1963 mit deutsch gesungenen Titeln auch hierzulande in den Hitlisten platzieren.

Während sie anschließend mit Elan an ihrer Gesangskarriere arbeitet und ab 1962 vor allem in Deutschland beschäftigt ist, hat Anita Lindblom nicht viel Zeit für amouröse Eskapaden. Als der Erfolg bei uns nachlässt und sie Ende 1963 ihr Hauptbetätigungsfeld wieder nach Schweden verlegt, werden auch ihre deutschen Aufnahmen in Stockholm produziert. Zuständig dafür ist Klaus Lorenzen, der dort für die "Philips" ein Büro leitet.

Anita Lindblom 3

Zwischen ihm und der Sängerin knistert es von Anfang an und schon bald ist Liebe im Spiel. Die beiden verloben sich und er zieht zu ihr in die "Villa Fontana", in der sie zusammen mit ihrem Sohn Jörgen lebt. Der Name der Villa bezieht sich auf das Plattenlabel, auf dem ihre ersten deutschen Singles erschienen. Lorenzen, kurz Lollo genannt, sorgt dafür, dass die Schwedin weiterhin Lieder veröffentlicht, die ihre Stimme und ihre Persönlichkeit ins rechte Licht rücken. Dazu gehört auch "Es liegt nur an dir", ein Duett mit Owe Törnqvist. Im Original heißt diese Nummer "Bara Kyssar" und in Skandinavien landeten die beiden damit einen Treffer. Die deutsche Version (Text: Günter Loose) schafft jedoch nicht den Einstieg in die Verkaufshitparade.

Und auch die große Liebe zwischen Anita und Lorenzen ist nur von kurzer Dauer. So rasch wie die Verlobung zustandekam, so schnell wird sie auch wieder gelöst. Lorenzen kehrt bald darauf nach Deutschland zurück. Man bleibt einander jedoch freundschaftlich verbunden und arbeitet später auch wieder beruflich zusammen. Anita Lindblom bleibt nicht lange allein. Als sie den schwedischen Boxer Bosse Högberg trifft, steht ihr Herz erneut in Flammen. Im Juli 1966 heiraten sie in Kopenhagen, wo Högberg sich zuvor den Meistertitel erkämpfte.

Sowohl privat als auch beruflich läuft es für Anita Lindblom eine ganze Weile bestens. Doch Ende der 60er Jahre bekommt sie Schwierigkeiten mit den schwedischen Finanzbehörden. Zusammen mit Ehemann Bosse setzt sie sich nach Paris ab. Das Geld wird knapp und das dauernde Nichtstun zehrt an Bosses Nerven. Anita leidet an Depressionen. Zwischen den beiden fängt es an zu kriseln und die Beziehung zerbricht. Während Bosse nach Schweden zurückkehrt, bleibt Anita in Frankreich.

Wenngleich ihr Ruhm mittlerweile ein wenig verblasst ist, tritt sie in vielen Ländern Europas als Gaststar in Fernsehshows auf. Später lässt sie sich an der französischen Riviera nieder und gibt Ballettunterricht. Jenen Song, der ihrer Karriere Jahre zuvor den entscheidenden Schub gab, nimmt sie noch einmal auf, diesmal in englischer Sprache. "You can have him" wird in mehreren Ländern veröffentlicht und trägt immerhin dazu bei, ihre Popularität ein wenig aufzufrischen.

In den 80er Jahren schreibt sie ihre Memoiren. Stoff genug gibt es ja.

Ihren Plan, in die USA auszuwandern, muss sie aufgeben, da sie Ärger mit der schwedischen Speditionsfirma bekommt, die den Transport ihres Hausrats übernehmen sollte. Ein sich über Jahre hinziehender Rechtsstreit kostet sie nicht nur Kraft, sondern auch eine Menge Zeit.

Heute ist Anita Lindblom in erster Linie als engagierte Tierschützerin aktiv. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, ihre ganze Kraft auf diesem Gebiet einzusetzen und zeigt damit, dass sie auch über ihr künstlerisches Talent hinaus ein hohes Maß an Anerkennung verdient.