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(Dezember 1998)

Ray Miller ließ gern die Puppen tanzen

Mit munteren Mädchen-Songs kam der große Erfolg

von Horst-Dieter Czembor

Was haben Bert Brecht und ein gewisser Rainer Müller gemeinsam? Auf den ersten Blick sicherlich nichts, aber auf den zweiten: Nämlich den Geburtstag. Beide erblickten am 10. Februar das Licht der Welt. Bert Brecht 1898 in Augsburg, Rainer Müller 1941 in Berlin.

Ray Miller

Wer Bert Brecht, weiß sicherlich jeder. Doch Wer ist Rainer Müller? Nun, er machte als Ray Miller in den 60er und 70er Jahren als Schlagersänger mit unüberhörbarer Vorliebe für weibliche Vornamen auf sich aufmerksam...

"Ich wohne in einem Turm in Köln", verrät mir Ray-Rainer, als ich mich zu einem Interview mit ihm verabrede. "Von der Zoobrücke rechts am Rhein entlang halten, dann in der Mitte bleiben, bei der Bastei rechts einordnen, in den Ring reinfahren und beim Turm halten". Ich hatte mir unter "Turm" etwas Altes, Wehrhaftes vorgestellt. Doch Rays Turm" ist ein Wohnhaus, hoch wie ein Turm, mit über 20 Stockwerken.

Im 21. Stock wohnt er, den Rhein, die Domstadt und sogar Kölns Wahrzeichen, den Kölner Dom, fast zu Füßen. Lebensgroße Nachbildungen von Elvis und Marilyn fallen mir zuerst ins Auge, als ich ihm gegenüberstehe. Ray grinst sein Lächeln, das in den 60er und 70er Jahren so manches Mädchenherz höherschlagen ließ und auch danach sicherlich seine Wirkung nie verfehlte.

"Fangen wir ganz von vorne an", lacht er, als wir über seine Karriere sprechen.

"Ich bin nach der Schule in Baden-Baden, Bergisch-Gladbach, Köln und Düsseldorf zu dem geformt worden, was ich heute bin", erzählt der Sänger, der Mädchennamen von A wie Antoinette, B wie Brigitte über N wie Nana bis hin zu S wie Sophia in seinem Repertoire hat.

Anfang der 60er Jahre kommt er zum ersten Mal beruflich mit Schallplatten in Verbindung. Als Werbemann bei EMI Electrola entwirft er Cover und schreibt Rückseitentexte für LPs von Dean Martin, Frank Sinatra, Paul Anka, Cliff Richard, Edith Piaf und viele andere. Anschließend geht er als Deutschlands jüngster Chefredakteur, verantwortlich für drei Rätselzeitungen und die Serie "Bessy", in der Geschichte des Bastei-Verlags ein.

1965 macht er als erster Diskjockey Kölns von sich reden, als er im "Orchestrion" am Rudolfsplatz Modetänze kreiert, Künstler-Galas, Hitparaden und Limbo-Turniere veranstaltet. 1964 gelingt es ihm sogar, Wanda Jackson als Stargast an den Rhein zu holen.

1967 macht er seine ersten Gehversuche als Sänger. Paul Kuhn, der "Mann am Klavier", hat ihn für die Schallplatte entdeckt. Er produziert ihn auch. Ray muss englisch singen. Er tut es. Allerdings nicht sehr erfolgreich, wenn man von dem Titel "Lovely Miss" absieht, der am 1. September 1967 auf Platz 21 der DDO-Hitparade auftaucht.

Ray Miller 2

Als Paul Kuhn kurze Zeit später nach Berlin geht, um das Tanzorchester des Senders Freies Berlin aufzubauen, übernimmt Produzent Nils Nobach bei EMI den jungen Sänger. Und er lässt ihn völlig andere Lieder singen: Mädchennamen mit witzigen Reimen im Text und eingängiger Musik zum Mitklatschen. "Dabei hatte ich schon, und das war damals sicherlich außergewöhnlich, ein Mitsprache- und Mitwirkungsrecht bei den Songs", erinnert sich Ray. Denn Texte und Musik schrieb er sich fortan größtenteils selbst. Und zwar unter den Pseudonymen Reiner Kieselstein und Reiner Weingeist. Und hat jahrelang damit großen Erfolg.

Auch als beim Publikum Anfang der 70er-Jahre das Interesse am deutschen Schlager nachlässt, legt Ray Miller die Hände nicht in den berühmten Schoß. Er versucht sich weiterhin mit großem Erfolg als Entertainer mit eigenen Shows, mit eigenem Ensemble, stilecht in Mode, Musik, Tänzen, Cocktails, Cars und Dekorationen der 20er bis 60er Jahre.

Denn das hat er nach seiner Deutschlandkarriere, die mit Plattenaufnahmen in den 70er Jahren für CBS, Bosworth, OPP und das eigene Label "Ladyland" zu Ende ging, gründlich gelernt: Insgesamt fünfmal begeisterte er jeweils sechs Monate lang die showverwöhnten Brasilianer in ihrer Heimat...

Zu seinem 50. Geburtstag widmet ihm sein früherer Verlag sogar ein Titelbild: Sein Name, welche Ehre, ist auch die Lösung eines Preis-Kreuzworträtsels in der Jubiläumsausgabe. 1996 feiert Ray sein 30jähriges Bühnenjubiläum und die 10. Pettycoat-Party mit den Golden 40ies und 50ies. Im selben Jahr organisiert er den 10. Nostalgieball in Nordrhein-Westfalen. Dass 1997 sein Geburtstag mit dem Rosenmontag zusammenfällt, wundert ihn nicht: "Ich hatte schon immer ein etwas närrisches Gemüt und habe mich auch oft im Karneval engagiert", sagt Ray. "Feste feiern ist besser als feste arbeiten", ist sein Motto, dem er auch in den nächsten Jahren treubleiben will.

Denn im Rahmen der Nostalgie-Welle ist das Fernsehen auch wieder auf den Show-Mann alter Schule aufmerksam geworden: Mit den Titeln "Olé, olé, oh Happy Day" und "TakaTaka Ibiza" flimmerte er 1997 über die Mattscheiben der privaten TV-Sender.