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(September 1999)
Agnetha, das "ABBA-Girl"
Auch sie sang mal deutsche Schlager
Als Mitglied der Pop-Legende ABBA erlangte sie in den 70er Jahren Weltruhm. Bereits vorher war sie in Schweden eine erfolgreiche Sängerin. Auch in Deutschland nahm sie von 1968 bis 1972 insgesamt 8 Singles auf, die seinerzeit bei den Schlagerfreunden allerdings nur wenig Beachtung fanden. Heute sind diese Platten bei Sammlern heiß begehrt und gut erhaltene Exemplare werden zu stolzen Preisen gehandelt.
Schon immer hat die Musik für Agnetha Fältskog eine große Rolle gespielt. Sie erinnert sich daran, dass sie bereits mit 5 Jahren bei einem Wohnungsnachbarn fast täglich mit großer Begeisterung auf dem Klavier herumklimperte. Als sie zu ihrem 7.Geburtstag von den Eltern ein eigenes Piano bekommt, nimmt sie fortan fleißig Unterricht. Doch sie spielt nicht nur nach, was auf den Notenblättern steht, sondern erfindet auch eigene Melodien, zu denen sie sich auch die passenden Texte ausdenkt. Diese Begabung hat sie von ihrem Vater, Ingvar Fältskog, der in seiner Freizeit eine Theatergruppe leitet, für die er Sketche und Stücke schreibt. Außerdem ist er in der Umgebung als Unterhaltungskünstler bekannt und tritt singend und Gitarre spielend bei den verschiedensten Anlässen auf.
Agnetha, die am 5. April 1950 in Jonkoping geboren wurde, hat ein großes Idol: Connie Francis. Immer wieder hört sie sich deren Platten an, singt ihre Lieder nach und träumt insgeheim von einer Karriere als Sängerin. Daneben absolviert sie weiterhin ihre Klavierstunden und ist mit 14 Jahren so perfekt, dass die Lehrerin ihr nichts mehr beibringen kann. Zu dieser Zeit geht sie noch zur Schule. Sie ist gut in Sprachen und Musik, dafür hapert es ein bisschen in Mathematik, Physik und Chemie.
Als sie mit 15 Jahren die Schule verlässt, nimmt sie einen Job bei einem Autohändler an.
In ihrer Freizeit singt und musiziert sie, zusammen mit zwei Freundinnen, unter dem Namen "Tine Cambers" bei Festen und Familienfeiern. Nebenbei schreibt sie weiterhin eigene Songs. Nach einem Vorsingen bei Bernt Enghardt, der eine Tanzkapelle leitet, wird sie von ihm als Sängerin engagiert. Wenn auch in erster Linie ihre stimmlichen Fähigkeiten und ihr musikalisches Feeling den Ausschlag geben, so spielt sicher auch ihr attraktives Äußeres eine Rolle.
Die Band, die auch einige von Agnethas Kompositionen ins Repertoire aufnimmt, ist bald so erfolgreich, dass die junge Sängerin wegen der vielen Auftritte ihre Stellung aufgibt.
Jetzt kann sie sich voll auf die Musik und die Arbeit auf der Bühne konzentrieren. Sie singt so ziemlich alles: Schlager, Balladen und Beat, aber auch Jazz und Folk. So geht es fast 3 Jahre lang, bis Bandleader Bernt ein Demo-Tape an einen Talentscout der Plattenfirma Cupol schickt. Karl-Gerhard Lundkvist heißt der gute Mann, der unter dem Namen "Little Gerhard" Ende der 50er Jahre in Schweden ein bekannter Rock'n'Roll-Star war.
Auch in Deutschland hatte er einige Titel veröffentlicht, von denen "Juke Box Baby" (1959) der bekannteste sein dürfte. Nach Beendigung seiner Sängerlaufbahn, hat er sich darauf verlegt, neue Talente aufzuspüren.
Als er sich das Demo der Bernt-Enghardt-Band anhört, horcht er auf und setzt sich sofort mit Agnetha in Verbindung. Denn er ist nur an der Sängerin interessiert, nicht an der Band.
So kommt es, dass die junge Schwedin im Oktober 1967 zusammen mit ihrem Vater nach Stockholm reist, wo sie gleich zwei ihrer eigenen Songs auf Singles aufnimmt. Bei Neulingen im Plattengeschäft ist so etwas normalerweise nicht üblich, doch bei Cupol ist man von Agnethas Talent beeindruckt und erhofft sich eine Menge von den Produktionen. Agnetha enttäuscht die in sie gesetzten Erwartungen nicht. Mit "Jag var sa kär" rangiert sie bald an der Spitze der schwedischen Hitparade und kann in ihrer Heimat selbst die Beatles überrunden. Auch die zweite Single landet in den Charts, und so wird anschließend die erste LP produziert, auf der die Sängerin wieder etliche Eigenkompositionen veröffentlichen kann.
Nachdem sie sich auf dem skandinavischen Markt durchgesetzt hat, versucht die Firma, sie auch in Deutschland zu starten, denn Agnetha beherrscht die deutsche Sprache, die sie in der Schule lernte, ziemlich gut. Die Berliner "Hansa" übernimmt die Produktion, veröffentlicht werden die Platten bei "Metronome". Agnethas Nachnamen lässt man der Einfachheit halber weg. Der Orchesterleiter und Komponist Dieter Zimmermann, der unter dem Pseudonym "Cliff Carpenter" Instrumentalversionen bekannter Hits herausbringt, schreibt die Titel für ihre Debüt-Single: "Robinson Crusoe" und "Sonny Boy".
Die bildhübsche Schwedin mit den langen blonden Haaren und den strahlend blauen Augen weckt nicht nur sein berufliches Interesse...
Und auch Agnetha, gerade 19 geworden, findet ihn mehr als nur sympathisch. Die beiden verloben sich und für eine Zeitlang wird Berlin Agnethas Wahlheimat. Ihre erste deutsche Single ist nicht sonderlich erfolgreich. Deshalb wird gleich eine weitere veröffentlicht. Wieder ist Dieter Zimmermann der Komponist. Das Lied "Senor Gonzales" hat er eigentlich für Manuela geschrieben, die es für eine LP aufgenommen hat. Rasch wird nun ein neuarrangiertes Playback produziert, und die Schwedin bringt den Song als Single heraus, die recht gut anläuft. Doch nun koppelt auch Manuela die Nummer aus dem Album aus und wird somit zur Konkurrentin für die junge Nachwuchssängerin. Ein wirklicher Erfolg ist es letztlich für keine von beiden. Agnetha nimmt auch eine schwedische Version des Titels auf, die in ihrer Heimat auf einer LP veröffentlicht wird.
Nach diesen beiden nicht so recht geglückten Versuchen wird nun mit vollem Einsatz daran gearbeitet, Agnetha in Deutschland populär zu machen. Zunächst verschafft man ihr einen Auftritt beim "Gala-Abend der Schallplatte 1969". In dieser großen Fernsehshow stellt sie sich mit der Hans-Blum-Komposition "Concerto d'amore" vor. Anschließend wird sie als Interpretin für den "Deutschen Schlagerwettbewerb 1969" nominiert. Mit ihrem Beitrag "Wer schreibt heut noch Liebesbriefe" kommt sie jedoch über die Vorentscheidung nicht hinaus, kann aber mit der Rückseite dieser Platte "Das Fest der Pompadour" einen Auftritt in der ZDF-Drehscheibe ergattern.
Nach kaum einem Jahr hat Agnetha ihre Verlobung mit Dieter Zimmermann in der Zwischenzeit gelöst. Sie kehrt zurück nach Schweden und trifft dort Björn Ulvaeus, der mit seinen "Hootenanny Singers" sehr erfolgreich ist. Bei einem gemeinsamen Fernsehauftritt kommen sich die beiden näher und verlieben sich ineinander.
Für Agnetha ist der Deutschland-Trip damit abgeschlossen, denn in Schweden kann sie mühelos an ihre früheren Erfolge anknüpfen. Dennoch werden hierzulande 1970 von ihr zwei weitere Singles veröffentlicht, die bereits vorher aufgenommen wurden.
Zunächst bringt man nochmals eine Dieter-Zimmermann-Komposition heraus: "Wie der nächste Autobus". Das Fachmagazin "Schallplatte" schreibt dazu. "Die talentierte blonde Sängerin aus Skandinavien vergleicht auf dieser Scheibe die Liebe mit einem Autobus. Die Musik ist besser als der Text. Der Name Agnetha, der sich inzwischen eingeprägt hat, gibt der Platte Chancen".
Doch die Schlagerkonsumenten können sich nicht dafür erwärmen. Gleiches gilt auch für "Ein kleiner Mann in einer Flasche", Agnethas letzte Single bei Metronome. Wie im Jahr zuvor wird sie von der Plattenindustrie auch diesmal für den "Schlagerwettbewerb" gemeldet. Ihr Titel "Hokuspokusfidibus" kann sich jedoch nicht für die Endausscheidung qualifizieren. Der Song wird kurz darauf mit Peter Kraus veröffentlicht, bringt ihm zwar einen Auftritt in der ZDF-Hitparade, aber keinen kommerziellen Erfolg ein.
Bereits 1970 haben Agnetha Fältskog und Björn Ulvaeus in Schweden Duett-Aufnahmen herausgebracht und damit gezeigt, dass sie nicht nur privat, sondern auch musikalisch sehr gut harmonieren. Als sie am 6.Juli 1971 heiraten, wird diese Traumhochzeit, bei der 3000 Leute als Zaungäste dem jungen Paar das Geleit auf dem Weg ins Eheglück geben, zu einem spektakulären Medienereignis. Auch beruflich geht es für Agnetha weiter aufwärts. Im Herbst 1971 spielt sie in der Rock-Oper "Jesus Christ Superstar" als Maria Magdalena ihre erste Bühnenrolle und hat mit der schwedischen Fassung von "I Don't Know How To Love Him" einen weiteren Erfolg in den Hitparaden.
Die Firma Cupol ist inzwischen von CBS Stockholm übernommen worden, und da Agnetha in Schweden zu den arrivierten Stars gehört, unternimmt man noch einmal den Versuch, sie auch auf dem deutschen Markt zu etablieren. Natürlich erscheinen ihre Singles nun bei der CBS, die auch dafür sorgt, dass die Sängerin mit dem richtigen Songmaterial ausgestattet wird. Die von Ennio Morricone komponierte Titelmelodie des Films "Sacco & Vanzetti" wird von Fred Jay mit einem deutschen Text und der Titelzeile "Geh mit Gott" versehen. Damit soll Agnetha auch bei uns endlich den Durchbruch schaffen. Auf der Rückseite kann sie mit "Tausend Wunder" einen eigenen Titel veröffentlichen.
Kurioserweise wird die Platte von der CBS als "Ihre erste deutsche Single" angepriesen. Wieder hat Agnetha das Pech, dass ihr eine deutsche Interpretin in die Quere kommt, denn auch Renate Kern bringt "Geh mit Gott" heraus. Erfolgsmäßig gehen beide Sängerinnen jedoch leer aus.
Agnethas nächste Single, die bereits vorproduziert worden ist, wird nur noch als Promo veröffentlicht.
Die Sängerin sieht inzwischen Mutterfreuden entgegen. Im Februar 1973 wird Töchterchen Linda geboren. Schon vorher haben sich Agnetha und Ehemann Björn mit Benny Andersson von den "Hep Stars" und der Sängerin Anni-Frid Lyngstad zusammengetan. Das musikalische Quartett kann schon bald die ersten Erfolge vorweisen. 1974 gewinnen sie mit "Waterloo" die schwedische Vorentscheidung zum Grand Prix, der diesmal in Brighton stattfindet. Speziell für diesen internationalen Auftritt haben sie ihren Namen in ABBA umgewandelt. Am 6.4.1974 stehen sie als strahlende Grand-Prix-Sieger auf der Bühne. Alles weitere ist längst Pop-Geschichte...