69/6-16
(August 2004)
Tanja Berg
In der deutschen Schlagerszene der 60er & 70er Jahre ist Tanja Berg eine Ausnahmeerscheinung. Zum einen fällt sie als Typ ein wenig aus der Reihe, denn sie ist eine Sängerin, die ihre Ecken und Kanten nicht versteckt. Und dann ist da noch ihre Stimme, dunkel und intensiv. So ein Timbre findet man eher selten im Schlagergenre.
Tanja Berg, die mit bürgerlichem Namen Ute Kannenberg heißt, kommt am 11.09.1941 in Berlin zur Welt. Sie wächst in Pankow auf, das dann später, nach der Teilung der Stadt, zu Ostberlin gehört.
Schon ihre Mutter hatte sich in jungen Jahren als Sängerin versucht, allerdings im Operettenfach. Doch noch bevor sich eine Karriere überhaupt anbahnen konnte, holte ihr gestrenger Herr Papa, der von künstlerischer Betätigung nicht viel hielt, sie eines Abends mitten in der Vorstellung von der Bühne.
Mit solchen Hindernissen hat Ute Kannenberg nicht zu kämpfen. Sie kann sich jedoch an eine Art Stimmbruch erinnern, der ja bei Mädchen eher selten vorkommt: "Meine Stimme kiekste hin und her", erzählt sie, "hat sich dann aber nach einiger Zeit auf den vorherigen Stand eingepegelt. Dunkel war sie eigentlich schon immer."
Im Alter von etwa 16 Jahren singt sie im Jugendklub in einer Band, die Skiffle, Dixieland und Jazz spielt. Mit Utes Englischkenntnissen ist es nicht weit her und so werden die Texte phonetisch einstudiert. Daneben tritt sie als Solistin bei öffentlichen Veranstaltungen auf, wo sie brave Liedchen wie "Tulpen aus Amsterdam" vorträgt. Das kommt gut an und sie darf in Heinz Quermanns beliebter TV-Sendung "Herzklopfen kostenlos" mitmachen. Sie erhält sogar einen Ausbildungsvertrag beim Berliner Rundfunk. Doch dann kommt der 13. August 1961. Die Mauer wird gebaut.
Zu diesem Zeitpunkt leben ihre Mutter und zeitweise auch ihre Schwester bereits in Westberlin, was allerdings niemand weiß, denn sonst wäre Ute längst in einem Heim gelandet. Auch sie selbst ist vorher oft zwischen Ost und West hin und her gependelt, was mit der S-Bahn oder auch zu Fuß bis dahin problemlos möglich war.
In dieser Situation ist es klar, dass das Mädchen aus Pankow kurzentschossen die Fronten wechselt. Die erste Zeit verbringt sie im Flüchtlingslager Marienfelde. Anschließend wohnt sie eine Weile bei ihrer Mutter, sucht sich aber bald ein eigenes Zimmer. Da ihre berufliche Ausbildung in der DDR im Westen nicht anerkannt wird, muss sie wieder ganz von vorn anfangen und hält sich mit verschiedenen Jobs über Wasser. Sie arbeitet u.a. in der Anzeigenabteilung einer Zeitung und später bei einem etwas undurchsichtigen Autohändler, der dann eines Tages erschossen wird.
Natürlich knüpft sie auch Kontakte zu Musikern und Bands. In Berlins renommiertem Club "Riverboat" singt sie zunächst bei den "Red Onions" und anschließend bei den "Firestones", die nach ihrem großen Erfolg beim Frankfurter Jazz-Festival sowohl in Fachkreisen als auch beim Publikum hohes Ansehen genießen. Ute glänzt mit bekannten Songs wie "Sweet Georgia Brown", die ihre stimmlichen Qualitäten wirkungsvoll unterstreichen.
Sie meldet sich beim Konservatorium, der späteren "Hochschule der Künste" an und besteht die Aufnahmeprüfung. Während sie tagsüber klassischen Gesang studiert, singt sie abends auf der Bühne Jazz. Damals sah man so etwas natürlich längst nicht so locker wie heute. Und als irgendwann auf einem Plakat für ein Jazzkonzert der Name Ute Kannenberg steht, fliegt die Sache auf. Sie wird exmatrikuliert und muss sogar das Stipendium zurückzahlen. Den Abschluss holt sie später aber noch nach.
In der Berliner Szene hat sich Ute Kannenberg mittlerweile als Sängerin einen guten Namen gemacht. Dass sie dann 1964 als "Tanja Berg" ihre erste Single veröffentlicht, verdankt sie der Begegnung mit dem berühmten Filmkomponisten Martin Böttcher.
"Ich weiß es nicht mehr genau, aber ich meine, dass Peter Meise seinerzeit den Kontakt herstellte", sagt sie heute, "Meisel war nämlich auf mich aufmerksam geworden, als ich im Studio einen Werbesong für eine bekannte Sektmarke aufnahm."
Wie auch immer, Martin Böttcher jedenfalls ist von ihrer Stimme fasziniert und die erste Plattenproduktion lässt nicht lange auf sich warten.
In den deutschen Kinos läuft Anfang der 60er Jahre die Krimi-Welle auf Hochtouren. Vor allem die Edgar-Wallace-Serie findet enormen Publikumszuspruch. Für viele dieser Streifen schrieb Martin Böttcher die Musik, so z.B. für "Das Gasthaus an der Themse" (1962). Darin singt die unvergleichliche Elisabeth Flickenschildt als zwielichtige Wirtin einer Hafenspelunke den Song "Besonders in der Nacht". Diesen Titel produziert Böttcher nun in einer Version mit Tanja Berg und ihre Stimme klingt dabei ziemlich geheimnisvoll und ein wenig verrucht. Auch die andere Plattenseite kann mit einer Film-Melodie aufwarten. Sie heißt "Soho" und stammt aus dem Krimi "Das Phantom von Soho". Damit hat Tanja Berg dann sogar einen Fernsehauftritt unter der Regie von Truck Branss.
Anschließend fällt die Sängerin dem Erfolgskomponisten Heino Gaze auf, der in den Berliner Clubs nach neuen Talenten Ausschau hält. Als Resultat erscheint 1965 bei Polydor die Single "Nacht für Nacht."
Paulchen Süß, Plattenexperte bei BRAVO, findet anerkennende Worte für die Interpretin:
"Tanja Berg ist ein Name, der unter Schlagerfreunden bisher nicht oder nur mäßig bekannt war. Eine Bildungslücke, wie man hier hört. Denn die Begegnung mit dieser ungewohnt begabten jungen Dame ist höchst erfreulich. Sie hat Stimme und sie hat Temperament. "Nacht für Nacht" kann man sich Tag für Tag vorspielen." Ein Hit wird es trotzdem nicht. Für Polydor nimmt sie auch den Nancy-Sinatra-Hit "These Boots Are Made For Walking" auf, der auf der LP "Die Spitzenreiter 1966" zu finden ist.
Eine weitere Single erscheint 1966 bei Ariola. Als Komponist und Produzent zeichnet diesmal wieder Martin Böttcher verantwortlich. Tanja Berg singt den Titelsong des Films "Lange Beine, lange Finger", der zu den wenigen gelungenen deutschen Kinokomödien der 60er Jahre zählt und namhafte Stars wie Senta Berger, Martin Held oder Boy Gobert als Darsteller aufweisen kann. Doch auch diese Platte erweist sich als Flop.
Tanja Berg singt weiterhin im "Riverboat" und bekommt dadurch sogar ein Engagement in Chicago. Anfang 1968 tritt sie in der ARD-Nachwuchs-Show "Talentschuppen" auf. Seinerzeit ist die Sängerin Alexandra gerade überaus populär und kann mit "Sehnsucht", dem Lied der Taiga, einen großartigen Erfolg verbuchen. Diesen Titel produziert man für eine Low-Price-LP auch mit Tanja Berg, wobei vor allem die stimmliche Ähnlichkeit ausschlaggebend gewesen sein dürfte.
Die Sängerin selbst kann sich heute kaum noch an die näheren Umstände erinnern, weiß aber noch, dass man ihr dann angeboten hat, in dieser Richtung weiterzumachen. Das lehnte sie allerdings ab, weil sie nicht als Kopie einer bereits erfolgreichen Interpretin gelten möchte. Viel wichtiger ist es ihr, authentisch zu bleiben.
1969 kommt dann endlich ihre große Chance. Eines Abends taucht Jack White im "Riverboat" auf und hört Tanja Berg singen.
"Er kam anschließend zu mir und sagte, er habe Interesse, mit mir zusammenzuarbeiten und werde sich bei mir melden", erinnert sich die Sängerin. Doch es vergeht eine ganze Weile, ohne dass sie etwas von ihm hört. Irgendwann kommt aber doch ein Anruf von ihm und er bestellt sie ins Studio. Es geht um eine Coverversion von "Na Na Hey Hey Goodbye", einem Hit der Gruppe Steam. Das Playback ist bereits fertig, doch für Jürgen Marcus, der als Interpret vorgesehen war, stimmt die Tonart nicht und so bekommt Tanja Berg den Titel. Sie weiß übrigens noch, dass bei dieser Aufnahme der Chor nicht von professionellen Studiosängern, sondern vom Publikum einer Discothek beigesteuert wurde. Jack White wollte so den Mitsing-Effekt beim Refrain verstärken und tatsächlich wurde die Nummer dann ja auch ein richtiger Partykracher.
Tanja Bergs Version kann sich neben dem Original behaupten und bringt es zu beachtlichen Chartnotierungen. Jack White nimmt die Sängerin fest unter Vertrag. Da sie zu diesem Zeitpunkt bereits Ende Zwanzig ist, macht die Plattenfirma sie ein paar Jahre jünger. Deshalb ist auch in einigen Nachschlagewerken als Geburtsjahr 1945 angegeben.
Ihre nächste Single "Kann ich dich denn nie vergessen" präsentiert die Berlinerin im Mai 1970 in der populären ZDF-Hitparade. Von 1970 - 1973 wird sie insgesamt 6-mal in dieser Sendung vorgestellt, ohne sich jedoch platzieren zu können. Vielleicht, weil sie sich äußerlich jedes Mal anders präsentiert: Mal sind die Haare lang, mal trägt sie sie im Afro-Look. Mal gibt sie sich romantisch im Blümchenkleid, mal burschikos in Jeans und Fransen. Das erschwert natürlich den Wiedererkennungswert beim Publikum.
Den größten Erfolg landet Tanja Berg Anfang 1972 mit "Ich hab dir nie den Himmel versprochen", einem Song, der noch heute gefragt ist. Komponiert hat ihn der mittlerweile zum Erfolgsproduzenten avancierte Jack White und er ließ sich wohl ein wenig von Lynn Andersons 71er Hit "Rose Garden" inspirieren. In den Bestsellerlisten steigt der Titel bis auf Platz 28. Grund genug, eine Langspielplatte mit Tanja Berg zu veröffentlichen. Darauf ist sie dann auch mit eigenen Texten vertreten.
Mittlerweile gibt es an die 50 Fan-Clubs. Auftritte und Diskotheken-Tourneen bringen gutes Geld und eigentlich läuft alles bestens.
Doch Tanja Berg gehört nicht zu den singenden Püppchen, denen es vor allem darum geht, schön auszusehen und Karriere zu machen. Sie macht im Gegenteil keinen Hehl daraus, dass sie Probleme mit der heilen Schlagerwelt hat. Sie ist politisch engagiert, stellt kritische Fragen, und den Widerspruchsgeist, den sie schon als Kind besaß, hat sie auch nicht abgelegt.
Karrierefördernd ist das nicht. Die Presse bringt sie mit Alkohol und Hippies in Verbindung und bald kommen Querelen mit Jack White hinzu. Er hatte anfangs versprochen, mit ihr ein bisschen mehr in Richtung Jazz zu machen. Doch als sie ihn daran erinnert, meint er nur: "Du bist jetzt als Schlagersängerin bekannt. Was anderes nimmt dir keiner mehr ab." Das alles führt schließlich zur Trennung.
Tanja Berg kehrt der Schlagerwelt den Rücken und singt in der Rockband "Metropolis", die sich allerdings 1974 auflöst. Nach ausgedehnten Reisen, die sie u.a. nach Nepal und Thailand führen, meldet sich die Sängerin 1975 mit der Single "Hey Baby, kannst Du's nicht lassen" zurück. Dahinter verbirgt sich der Lou-Reed-Hit "Walk On The Wild Side". Tanja Berg, die nun von Tony Atkins produziert wird, hat sich ein neues Image zugelegt. Die Haare sind ganz kurz und musikalisch geht es mehr in Richtung Pop. Doch wieder gibt es negative Schlagzeilen in der Presse. Weil sie zugibt, in jungen Jahren mal einen Joint geraucht zu haben, schreibt man, sie sei drogensüchtig. Als dann immer wieder private Dinge an die Öffentlichkeit gezerrt werden, hat sie schließlich die Nase voll und zieht sich aus dem Showgeschäft zurück.
Auf dem zweiten Bildungsweg macht sie das Abitur nach und studiert anschließend Sozialpädagogik. Nach der Theorie folgt die Praxis. Wenn es um soziale Brennpunkte geht, ist sie vor Ort. Sie kümmert sich um Obdachlose, Prostituierte und verwahrloste Kinder.
Ein Job, der ihr viel abverlangt und letztendlich doch nur die Erkenntnis bringt, dass man die Gesellschaft und noch viel weniger die Welt auch mit größtem Engagement nicht wirklich verändern kann.
Später arbeitet sie als Journalistin und Moderatorin beim Rias, dem heutigen Deutschland Radio Berlin. Sie macht Hörspiele und schreibt Sendungen und Features. Sie hat aber auch eine Zeitlang in Berlin Theater gespielt u.a. bei George Tabori. Heute gibt sie Unterricht in Jazz-Gesang und Stimmbildung. Bei den jährlichen Berliner Festspielen sitzt sie in einem Gremium, das für den Bereich "Junge Deutsche Musikszene" förderungswürdige Nachwuchskünstler auswählt. Nachzutragen bleibt noch, dass seinerzeit ein Fernsehporträt mit dem Titel "Beruf: Schlagersängerin" entstand und dass Tanja Berg ein Kapitel für das Buch "Frauen in der Rockmusik" verfasst hat.
Seit vielen Jahren schon leidet sie an Tinnitus, einer Krankheit, die nicht therapierbar ist. Sie versucht so gut es geht damit zu leben.
Und natürlich ist die Musik immer noch ein wesentlicher Bestandteil ihres Lebens. Auch wenn aus Tanja Berg längst wieder Ute Kannenberg geworden ist, so hat sie mit ihrer Schlager-Vergangenheit keine Probleme. Doch das, was sie heute macht, geht mehr in Richtung Jazz oder Avantgarde.
In den letzten Jahren erschienen bei Likk Records zwei CD's, auf denen sie als "uTe kA Band" bzw. als Ute Kannenberg überwiegend mit eigenen Songs zu hören ist. Die letzte CD "Kannenberg On Purpose" spielte sie 2000 mit eigenem Quartett und Gastmusikern ein. Dieses Album enthält neben Titeln von Duke Ellington, Sacha Distel, Irving Berlin oder Lennon/McCartney auch eine Hommage an Paul Bowles, den bekannten amerikanischen Schriftsteller und Komponisten, den sie kurz vor seinem Tod in Marokko besuchte.