65/23-33
(Februar 2000)
Drafi Deutscher - Die Künstlerstory
Käme Drafi Deutscher aus Großbritannien oder den USA, wäre er wahrscheinlich eine Pop-Legende. Er erfüllt alle denkbaren Klischees, die eine solche vorweisen muss: Der aus einer Roma-Musikerfamilie ("Kahlmann") stammende Protagonist dieser Story verfügt über eine begnadete Stimme und ein kompositorisches Talent, das ihm Plattenumsätze in zweistelliger Millionenhöhe ermöglicht hat. Drafi erhielt in Amerika den begehrten Komponisten-Preis, den ASCP-Award, und seine Lebensgeschichte wurde bereits 1982 von HansChristoph Stenzel halbbiographisch verfilmt. Vielleicht tut man ihm sogar unrecht, wenn man ihm unter den gegebenen Bedingungen den Status einer Legende nicht zusprechen mag, denn, wenn man die Ära der Beatmusik Revue passieren lässt und sich fragt, wer von den damals angesagten deutschen Künstlern es wirklich bis zum Status eines Jugend-Idols gebracht hatte, bleiben eigentlich nur die Rattles / The Wonderland mit Achim Reichel, The Lords mit ihrem Uli und eben Drafi Deutscher. Letzterer hatte seinen Ruhm zwar im Gegensatz zu den anderen zunächst mit deutschsprachiger Beatmusik begründet, trotzdem muss man ganz nüchtern konstatieren, dass seine Verkaufszahlen und Hitparadenplatzierungen stets weit höher lagen, als die seiner "Konkurrenz". Dafür wurde er in den 60ern u.a. mit dem goldenen Bravo-Otto belohnt, und nur er hat es ferner im Laufe seiner Karriere geschafft, über die Landesgrenzen hinaus Millionenumsätze und Nr.1-Hits mit eigenen Kompositionen zu landen. Wie entwickelte sich seine Karriere über die Jahre?
Teeny
Drafi Deutscher wurde am 9. Mai 1946 im Wedding, Berlins Arbeiterviertel, geboren. Der Vater starb früh und hat außer musikalischem Talent beim Sohn keine dauerhaften Eindrücke hinterlassen. Die alleinerziehende Mutter schlug sich als Schwesternhelferin durch und siedelte mit ihrem Jungen bald in den Stadtteil Lichterfelde-Ost über, in dem vor allem Unterprivilegierte ihr Zuhause hatten. Auch die Wohnstätte der Kleinfamilie Deutscher wurde ein dortiges Obdachlosenasyl. Drafi, der sich daher meist bei seiner Großmutter Elise aufhielt, begann mit 12 Jahren autodidaktisch das Gitarre spielen zu erlernen und hatte mit 14 seine ersten Auftritte vor Publikum. Bald ließ er sich von einer Band namens "Die Zeitbomben" begleiten. Er bot vor allem Rock’n‘Roll-Klassiker dar. Sein großes Idol war Eddie Cochran. 1963 entdeckte ihn Heino Gaze bei einem Talentwettbewerb, in dem er den 4. Platz errungen hatte. Gaze vermittelte Deutscher einen Plattenvertrag und schrieb ihm ein Jahr später "Shake Hands" auf den Leib. Zu lösen war eigentlich nur noch das Problem einer qualifizierten Begleitband für die anstehenden Aufnahmen und hoffentlich folgenden Auftritte. Drafi wurde in einem Jazzkeller fündig, wo die vier "Magics" - Walter Stein (G), Lothar Ferchland (G), Tom Wetzel (Dr) und Andy Nietebock (B) - spielten. Er fragte sie mit Hinweis auf seinen Plattenvertrag schlicht, ob sie ihn künftig unterstützen wollten. "Es müsse allerdings alles mehr beatmäßig gespielt werden als die Band es bisher gewohnt war. " Die Jungs stimmten unter der Voraussetzung zu, dass ihr Engagement nur halbprofessionell erfolgen würde. Sie alle waren Studenten und wollten ihre Ausbildungen keinesfalls abbrechen. Man wurde sich einig und so kam es am 6. und 7. April 1963 zu ersten gemeinsamen Aufnahmen in den Münchener UNIONSTUDIOS für DECCA. Die Nachwuchsproduzenten Christian Bruhn und Günther Loose verfügten über einige selbstgeschriebene Songs, die sie dort mit Gazes neuer Entdeckung einspielen wollten.
BILD dir deine Meinung
Drafi und die Magics machten nach eigenem Verständnis deutschsprachige Beatmusik, und dem deutschen Establishment war diese Musik verhasst. Seit bei Bill Haleys 58er Deutschland-Tournee ein paar Stühle zu Bruch gegangen waren, wurde von der konservativen Presse versucht, Rock'n'Roll mit Begriffen wie "Negermusik" zu diskreditieren. Als Reaktion auf die Haley-Vorfälle brachten es die deutschen Behörden tatsächlich fertig, aus "Sicherheitsgründen" jahrelang keine Rock'n'Roll-Konzerte mehr zuzulassen. Nachdem diese Position aufgrund des überwältigenden internationalen Erfolges der Beatles auch "in diesem unserem Lande" nicht mehr haltbar war, aber nach einem Rolling Stones-Konzert die "Berliner Waldbühne" als Trümmerhaufen zurückblieb, sahen sich die etablierten Kreise in ihren Auffassungen hinsichtlich des Verlustes von Sitte und Anstand der "Jugend von heute" durch die anglophile "Subkultur" wiederum durch und durch bestätigt. In dieses Klima der Hatz gegen Rock- bzw. Beatmusiker hinein platzten nun Drafi und seine Magics. Da verdiente ein 17-jähriger Kerl mit seinem "Lärm" 5.000 DM pro Abend, hatte zwölf Songs in Folge in der Hitparade und schickte sich nun sogar an, auch internationales Terrain zu erobern. Von der englischsprachigen Version seines Klassikers "Marmor, Stein und Eisen bricht" ("Pfui, - allein dieses Verkehrte Deutsch!"), der ihm nach eigener Aussage bis zum heutigen Tage eine gewisse Rente sichert, verkaufte er selbst in den USA in 6-stelliger Höhe. Nein, solch ein Chaos, wie es seit 4 Jahren im Hamburger Star-Club zu beobachten war, würde man nicht in der gesamten Republik dulden. Gegen diese "Verrohung" deutscher Kultur und Jugend würde man bei nächster Gelegenheit ein Zeichen setzen: Die Springerpresse deklarierte Drafi also zum Opfer einer Kampagne der größten Boulevardzeitung Deutschlands, die sich ohnehin noch nie entblödet hatte, aus einem Pups einen Donnerschlag zu machen, wenn das nur die Auflage in die Höhe trieb. "Unser Mann" lief ihnen 1966 ins offene Messer: Es hatte in Berlin gerade 4 bestialische Kindermorde gegeben, die die Öffentlichkeit in helle Aufregung versetzten. Die Fälle waren noch unaufgeklärt und die Polizei Berlins brauchte dringend Erfolgserlebnisse, um ihr Image aufzupolieren. Da pinkelte Deutscher während einer Feier besoffen aus einem Fenster und hatte das Pech, von einigen schulpflichtigen Kindern beobachtet zu werden. Das reichte seinerzeit, ihn zum "Sittenstrolch" aufzubauen und zu neun Monaten auf Bewährung wegen "Erregung öffentlichen Ärgernisses" zu verurteilten. Harte Zeiten für den Mann. Neben Justitia wollte ihm nämlich nun auch das erste Mal -wie später noch häufiger- der Fiskus ans Leder. Ihm wurde vom Finanzamt eine Rechnung über 180.000 DM präsentiert. Deutscher hatte keine finanziellen Rücklagen gebildet und wurde nach dem "Skandal" im Funk wie im Fernsehen mit einem jahrelangen Bannstrahl versehen, so dass auch die Aussicht auf künftige Einnahmen, von denen er diesen Betrag hätte begleichen können, als äußerst gering betrachtet werden musste. Aber er ist clever und so gelang es ihm, sich am eigenen Schopf aus dem Wasser zu ziehen, das ihm damals -wie noch mehrfach in seinem Künstlerleben- bis zum Hals stand. Zunächst war er sich keineswegs zu schade, seine junge Frau und die knapp zweijährigen Zwillinge dadurch zu versorgen, dass er Stoffe auf dem Wochenmarkt feilbot oder als Discjockey arbeitete. Nur: so konnte es auf die Dauer natürlich nicht weitergehen - es musste etwas geschehen!
Die goldene Zeit ist vorbei
Das erste was Ende 1966 passierte, war ein Wohnortwechsel von Berlin nach München, der leider die Trennung von seiner bisherigen Band zur logischen Konsequenz hatte. Der zweite entscheidende Schritt wurde die Entdeckung der eigenen kompositorischen Fähigkeiten, die eine Unabhängigkeit von anderen Songschreibern herbeiführte. Diese hatten - trotz aller gesanglichen Qualitäten Deutschers - ohnehin Bedenken, für den zum "Sittenstrolch" gestempelten Interpreten zu arbeiten. Natürlich eröffneten Eigenkompositionen auch gleichzeitig die Möglichkeit, anderen Künstlern Titel anzubieten und auf diese Weise Hits zu landen, ohne die Verkaufszahlen im Vorwege durch das eigene angekratzte Image zu gefährden. Drittens traf "unser Mann" in München ein junges Nachwuchstalent namens Michael Holm wieder, das ihn u.a. 1965 bei der Produktion einer deutschen Coverversion des Dylan / Byrds-Hits "Mr. Tambourine Man" (Interpreten-Logo: "The Magics") unterstützt hatte. Holm war auch jetzt gerne bereit, mit ihm eine Platte aufzunehmen, die einfach als Titel neuer "Magics" auf den Markt geworfen wurde ("Crying In The Morning / Wake Up"). Mit dieser Scheibe, die leider nur mäßigen Erfolg hatte, begann er dann einer Strategie nachzugehen, die sich später immer wieder als höchst vorteilhaft erweisen sollte: Er produzierte bestimmte Titel, die er für sich selbst geschrieben hatte, gleich und ausschließlich in englischer Sprache, um über den Hit auf internationaler Schiene seinen Gegnern im eigenen Lande den Wind von vornherein aus den Segeln zu nehmen. Diese bemerkten meist auch deshalb gar nicht, wer sich hinter den Aufnahmen verbarg, weil diese im Folgenden zunehmend unter einem Pseudonym das Licht der Öffentlichkeit erblickten. Bis zum heutigen Tage (November 1998) sind mir 131 Deutscher-Singles bekannt; davon sind 63 unter sage und schreibe 39 verschiedenen Pseudonymen auf den Markt gekommen. Und ich lege meine Hand nicht dafür ins Feuer, dass diese Liste vollständig ist.
Mit dem Kopf durch die Wand
Trotzdem ist hier zunächst eine Richtigstellung erforderlich: In zahlreichen Discographien werden drei Singles eines gewissen Hektor von Usedom (zwischen 1967 und 1969 erschienen) als Drafi-Scheiben erwähnt. Zu einiger Berühmtheit gelangte BALADE dabei die "Roy Clark Ballade", welche sogar von seiner Plattenfirma im Rahmen eines Deutscher-Hit-Samplers in den 90ern wiederveröffentlicht wurde. Drafi selbst bestritt hingegen stets, jemals unter diesem Pseudonym gesungen zu haben. Gleiches gilt im Übrigen für eine Single und ein Album aus dem Jahre 1975, auf denen Gary und die Quickborner als Interpreten genannt werden. Und in der Tat: Sowohl als Hektor, als auch als Gary agierte ein in Quickborn lebender Musiker namens Günter Beyer.
Unzweifelhaft gelang es unserem Protagonisten 1969 jedoch, unter regulärem Namen zwei deutschsprachige Superseller zu platzieren ("Don Quichotte" und "Warum gehst Du fort"), was ihn allerdings nicht hinderte, auch danach immer wieder unter Pseudonymen zu veröffentlichen, weil trotz dieser Hits in der Branche nach wie vor latent ein Unbehagen vorherrschte, ihn direkt zu präsentieren. Mit dieser Strategie ausgestattet, waren auch die Jahre 1970 bis 1973 nicht unerfolg-reich: Neben zahlreichen Flops gab es auch Tops wie "April Fool / Milk and Sugar (als Popcorn Corners)", "Freedom, Freedom (als Better Side Of Us)" und die deutschen Hitparadenerfolge "Mit dem Kopf durch die Wand" sowie "Weil ich Dich liebe" (unter eigenem Namen). Bei "Mit dem Kopf durch die Wand" hatte er schlicht eine neue Melodie und einen deutschen Text über das Playback des Supersellers der Who "Happy Jack" gepackt. "Weil ich Dich liebe" war eine deutsche Coverversion von Bob Dylans "Wigwam". Ungeachtet dieser Erfolge entschloss sich Deutscher noch 1971 zu einem Bandprojekt mit dem Namen "Wir". Die Jesus-People-Mode aus den USA hatte ihn, den ohnehin sehr Gläubigen, offenbar auf die Idee gebracht, Schlagermusik mit religiösen Texten zu produzieren. Eine LP, die dann in zwei verschiedenen Versionen erschien und 6 Singles, von denen zwei Hitparadenplatzierungen erreichten ("Die Welt von heut" und "David und Goliath"), waren bis zur Auflösung im Jahre 1973 das Resultat dieses Versuchs. Eine andere Absicht, die er damals verkündete, ließ er leider wieder fallen: "Ich hätte große Lust, eine kommerzielle Teenager-Oper zu schreiben...Ich stelle mir eine nette Geschichte vor, die mit schlagerhaften Melodien erzählt wird. Ich könnte mir einige bekannte Schlagerstars vorstellen, die in einem solchen Stück mitmachen und Lieder singen in der Art, mit der sie auch sonst bekanntgeworden sind - schlagerhafte Melodien, ohne Zick. Aber zu einer solchen Arbeit braucht man natürlich viel Zeit. Vielleicht werde ich sie eines Tages haben."
Nach all diesen Verkaufserfolgen - es gesellte sich 1972 noch ein Duett mit Tina Rainford "Alaska" hinzu - war Drafi zunächst durchaus wieder "salonfähig". Aber dann gab es 1972 einen neuen "Zwischenfall", der ihm das Leben in den nächsten Jahren erschweren sollte. Der bundesdeutsche Schlager-Übervater des Fernsehens, Dieter Thomas Heck, ließ sich seinerzeit aktiv in den CDU-Wahlkampf einspannen. Er präsentierte auf Großveranstaltungen der Partei eine Reihe angesagter deutscher Künstler jener Periode. Ohne zu wissen, um was für eine Gala es sich handelte, wurde nach seinen o.g. Treffern auch Deutscher engagiert. Dieser war aber entsetzt über den Missbrauch seines Namens und bewies "Rückgrat". Am Ende seines Auftritts während dieser CDU-Veranstaltung rief er dem Publikum durchs Mikrophon zu: "Also Leute, Ihr wisst Bescheid: Willy (Brandt - der Verf.) wählen!" Klar, dass seine Verpflichtungen im Rahmen dieser Tournee damit ein jähes Ende fanden. Gleichzeitig hatte er einmal mehr den Hass seiner alten "Freunde" von der Springerpresse auf sich geladen. Diese haben ihm diese "Entgleisung" im Übrigen bis zum heutigen Tage nicht vergeben.
Bis 1976 gab es für den zwischenzeitlich nach Norddeutschland (Hamburg und Norderstedt) übergesiedelten Drafi dann auch trotz ununterbrochener Produktion von "kleinen Scheiben" -mehrheitlich unter Bandpseudonymen keine nennenswerten Chartplatzierungen mit eigenen Produkten mehr. Nur ein Achtungserfolg mit einem Song für Peter Orloff ("Ich liebe Dich"), den er später auch selbst noch einmal aufnahm, konnte notiert werden. Bei Lichte besehen, handelte es sich hier um ein Novum: nie hatte es bis dahin eine Durststrecke über volle drei Jahre gegeben. Aber dann knallte es gewaltig im Karton.
I Never Give Up
Deutscher entwickelte ein Soundprojekt, das auf einem Keyboard basierte und so ähnlich wie Kirmesmusik klang. Unter dem Logo "Mr. Walkie Talkie" veröffentlichte er im Rahmen dieses Projektes eine LP und vier Singles, wovon vor allem die erste "Do The Boogie Woogie Baby" sich im gesamten deutschsprachigen Raum und in den Benelux-Ländern wie warme Semmeln verkaufte. Die Platte erreichte dort überall vorderste Hitparadennotierungen. Daneben bestand noch ein ähnlich klingendes Gesangskonzept namens "Baby Champ", das mit dem "Monkey Bump" ebenfalls erfolgreich war. In dieser Phase schrieb Deutscher für "Boney M." die Erfolgsnummer "Belfast", für Bino den Mega-Hit "Mama Leone" und für Tina Rainford ein ganzes Album, das die Single-Treffer "Silver Bird" und "Fly Away Pretty Flamingo" (in der deutschen Version gleichzeitig der letzte große Verkaufserfolg für Peggy March) enthielt. Die zusätzlich von Rainford eingespielte "kleine Scheibe" mit der Deutscher-Komposition "Guitar Man" chartete ebenfalls. Drafi verdiente bis 1977 ein Vermögen. Als sich 3 Millionen Mark auf seinem Girokonto befanden, legte er sich an den Strand von Rio, ließ sich die Sonne auf den Bauch scheinen und gab sie nach und nach aus. Leider kam ihm auch jetzt wieder kein Gedanke, dass dafür vielleicht einmal Steuern zu zahlen wären. Nein, er ließ es sich nach der vielen und letztlich erfolgreichen Arbeit der vergangenen drei Jahre sowie seiner Scheidung von seiner ersten Frau, Karin, nur noch gut gehen.
1978 setzte sich zunächst die Kette von Erfolgen und damit der Einnahmefluss fort: Unter dem Pseudonym "Jack Goldbird" gelang ein großer Wurf mit dem Ohrwurm "Can I Reach You". 1979 entschloss Drafi sich dann, einige Zeit in den USA zu leben und zu lernen. Er wirkte dort am Background der Bee Gees-LP "Living Eyes" mit und produzierte selbst ein ausgezeichnetes Album mit dem Titel "Lost in New York City", das 1981 auf den Markt kam und ungerechterweise völlig unterging. Auch einer neu abgemischten Wiederveröffentlichung der Platte von 1989 erging es nicht besser. Deutscher bedauerte seinen New York-Aufenthalt jedoch trotzdem nicht: "Ich habe die ganzen Studios dort abgeklappert und gefragt, ob ich zu den Aufnahmesessions vorbeikommen dürfte. Ich wollte nur ganz still und leise in der Ecke sitzen und zusehen. Ich durfte. Ich habe den angesehensten Produzenten über die Schulter geschaut und war während der Aufnahmen der Bee Gees, von Earth, Wind & Fire, Billy Joel und einigen anderen dabei. 800.000 Mark hat mich das alles gekostet, aber dafür brauche ich heute keinen Produzenten mehr. Ich mache das alles selbst: Technik, Mischung, Musik. Ich greife mir meinen Computer und meinen Synthesizer - fertig!"
Maskeraden
Bei seiner Rückkehr nach Deutschland erwartete ihn bereits die Finanzbehörde und wollte eine Steuernachzahlung in Höhe von mehreren hunderttausend D-Mark, die Deutscher nicht mehr hatte. Er beschloss jedoch, sich nicht verrückt machen zu lassen, sondern ein deutsches Album ("Drafi") aufzunehmen, am Soundtrack für den halbbiographischen Film "Marmor, Stein und Eisen bricht" zu arbeiten -er übernahm für den Streifen sogar eine Nebenrolle- und vor allem, mit seinem ebenfalls in Hamburg lebenden Freund Chris Evans an neuem - auch international aussichtsreichem - Material zu basteln.
1983 war dann nicht nur das Jahr der Trennung von seiner zweiten Frau, Silvie, es war auch das Jahr, in dem einem aus dem Radio ununterbrochen der Titel eines Soundprojektes mit Namen "Masquerade" entgegentönte, - "Guardian Angel". Lief dieses Lied in der Zeit bis weit in das Jahr 1984 hinein einmal eine Stunde nicht, konnte man sich darauf verlassen, dass zur Abwechslung dessen deutsche Version "Jenseits von Eden" mit Nino de Angelo gespielt wurde. Der Masquerade-Sound basierte im Wesentlichen auf weiten Melodiebögen, einer pseudoklassischen Instrumentierung, die ein Fairlight-Synthesizer erzeugte und Deutschers Stimme. Seine Originalaufnahme von "Guardian Angel" wurde in 22 Ländern veröffentlicht und schaffte es - mit Ausnahme der USA und England - fast überall eine Nr. 1 zu werden.
1984 warf Deutscher neben 2 weniger erfolgreichen Nachfolge-Singles für "Guardian Angel" und einem Album im Rahmen seines Masquerade-Projektes einen recht guten Soundtrack für einen Kinofilm ("2 Nasen tanken Super"), eine weitere Pseudonym-Single ("Rebirth Of An Antichrist" als Ironic Remark) und zwei deutsche Platten unter eigenem Namen auf den Markt. Die erste dieser Singles "Tief unter meiner Haut" verkaufte sich vorzüglich. Anfang 1986 gründete Drafi dann mit Oliver Simon das Duo "Mixed Emotions". "You Want Love" ebenso wie die drei Followup-Singles und zwei Alben- hob auf dem ganzen europäischen Festland ab wie eine Rakete. Ein weiterer Hitparaden-Renner für 1986 hieß "Sensuality" (deutsche Version: "Herz an Herz-Gefühl"), ein Masquerade-ähnliches Stück, das er unter eigenem Namen veröffentlichte.
Leider sollte dies für lange Zeit der letzte große internationale Wurf bleiben. Ein 1989 aufgenommenes Duett mit Demis Roussos und ein 1991 leider fehlgeschlagener Versuch, mit Andreas Martin eine "New Mixed Emotions" zu präsentieren (mit einem Longplayer und zwei Singles) waren allerdings auch für sieben volle Jahre Drafis letzte in diese Richtung gehende Bemühungen als Interpret. Erst 1998 veröffentlichte er mit dem Lead-Sänger der Band "Verliebte Jungs" Stefan Körber als "Two Generations" 4 Neueinspielungen von "Guardian Angel". In seiner Eigenschaft als Komponist blieb es trotz aller Zeitungsartikel- bei der Absicht, Songs für Tom Jones zu produzieren. Stattdessen schrieb er für Heidi Brühl "Sun In Your Heart" und für Isabel Varell "Indistructible Love", zwei Titel von zwar guter Qualität, aber nicht mit der gewünschten Fortune. Sein Blues-Album, das Anfang der 80er in Planung war, wurde nie realisiert. Auch eine von ihm zu Beginn der 90er angekündigte Rhythm & Blues-LP hat er nicht veröffentlicht. Er machte bis 1996 also bedauerlicherweise mehr Schlagzeilen aufgrund seiner Steuerschulden, seiner Heirat und Trennung mit und von Isabel Varell, einem unehelichen Kind sowie zeitweilig eklatanten Managementproblemen, als aufgrund seines musikalischen Schaffens.
1996 gelang ihm dann jedoch endlich ein Comeback mit seinem Album "So viele Fragen" und den daraus ausgekoppelten Hits "Wenn man liebt" sowie "Amen". Letzterer belegte in der ZDF-Hitparade im Dezember 1996 den 1. Platz und rangierte als Nummer 2 bei den "Hits des Jahres 1996". Die Nachfolge-Single "Das ist Er" und die "98er Veröffentlichung "Der letzte Zug nach Eden" entwickelten sich ebenfalls zu "satten" nationalen Erfolgen.
Erfreulicherweise hat Deutscher aber auch seine musikalischen Wurzeln ohne Rücksicht auf den Absatz oder sonstige Kompromisse immer wieder sehr gepflegt: Rock'n'Roll Lady (1967), Rock'n'Roll Rita / Rock'n'Roll Around Sue (1968), April Fool / Milk and Sugar (1970), Red Sue (1970), Mit dem Kopf durch die Wand (1970), Weil ich Dich liebe (1970), Tella Hassee Lassie (1970), Tears and Pain (1971), Jambalaya / Long Tall Sally (1971), Hurry up (1972), Kellerkind (1972), The Lion sleeps Tonight (1972), What am I living for (1972) Little Darling Dana (1974), Saturday Night Twist (1975), The King of Rock'n'Roll / Hard Rain (1977) I Got You Babe / Sealed With A Kiss (1978), Rock'n'Roll Song (1979), Rainy Day Feeling / Gabriella (1980), When a Woman (1983), Take a Ride on my Trike (1984), Save the last Dance for me (1986). Ein derartig zusammengestellter Sampler seines Schaffens wäre sicherlich geeignet, auch den anglophilsten Pop-Fan von der durchaus vorhandenen hohen Qualität deutscher Popmusik zu überzeugen. Gleiches gilt hinsichtlich der Ausgestaltung seiner Live-Konzerte, in denen Drafi seinen Roots nach wie vor sehr verbunden ist. Er bestreitet darin ein vorzügliches Programm, das ganz überwiegend aus Rock’n‘Roll-Klassikern und 60er-Jahre-Pop zusammengestellt wurde.
Das ist er - in den 90-ern
Die evangelische St. Matthäus-Gemeinde befindet sich in Gaarden, einem Arbeiterviertel Kiels. Sie veranstaltete am 10. August 1997 einen Gottesdienst zum Thema "Marmor, Stein und Eisen bricht, aber Gottes Liebe nicht". Zu dieser Veranstaltung erschien Drafi Deutscher in Begleitung seines Managers Wolfgang Heer und seiner Mutter. Besonders erfreulich: Er hatte für seine Teilnahme weder ein Honorar noch eine Fahrkostenerstattung verlangt. Es herrschte ein breites Medienecho. Vertreten waren: NDR-Regionalfernsehen Schleswig-Holstein, NDR 2-Radio, NORA-Radio und RTL-Nord/Fernsehen. Vor ca. 200 Zuhörern sang Drafi während des Gottesdienstes zum Playback seine Songs "Das ist Er", "Amen" und "Welche Farbe hat die Welt?". Anschließend gab er reichlich Autogramme und beantwortete bereitwillig die unterschiedlichsten Fragen, die an ihn gerichtet wurden.
Frage: Du hast seit 1965 immer mal wieder Lieder mit religiösen Texten produziert. Welche Beziehung hast Du prinzipiell zur Religion?
D.D.: Nun, ich habe eigentlich von Anfang an eine sehr religiöse Erziehung erhalten. Immerhin habe ich vier Jahre meiner Schulzeit in einem katholischen Internat verbracht. Ich bin dann 1965 aber zum evangelischen Glauben konvertiert. Die Sache mit dem "Heiligen Vater" in Rom und was der so vorschreiben kann, war nicht mein Ding.
Frage: Wobei hilft Dir Dein Glaube?
D.D.: Ich bin - wie viele andere auch - ein Mensch, der eigentlich jeden Tag irgendwelche kleinen Sünden begeht. Und so wie ich täglich bete, um für bestimmte Dinge Gottes Hilfe zu erbitten, so brauche ich auch jemanden, dem ich diese täglichen Sünden anvertrauen kann. Auch dazu dient mir Gott, denn diese Dinge sind mir zu intim, um sie mit einem anderen Menschen zu besprechen.
Frage: Liest Drafi Deutscher in der Bibel?
D.D.: Gerne und viel. Meistens in den Hotelzimmern, wenn ich unterwegs bin. Dort findet sich ja oft in irgendeiner Schublade eine Bibel, die ich zur Hand nehmen kann.
Frage: Hast Du in der Bibel eine Lieblingsstelle?
D.D.: Es gibt eine Unmenge Stellen, die mir viel bedeuten. Besonders mag ich jedoch den Abschnitt, in dem es heißt: Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.
Frage: Warum hast Du Dich an der heutigen Veranstaltung beteiligt?
D.D.: Ausschlaggebend war eigentlich der nette Brief des Pastors dieser Gemeinde und, dass er mir die Freiheit ließ, zu bestimmen, für welchen Zweck das in der Kollekte gesammelte Geld Verwendung finden soll. Ich wünsche mir, dass das Spendenergebnis den Straßenkindern Brasiliens zur Verfügung gestellt wird. Unter solchen Bedingungen bin ich durchaus auch künftig bereit, an ähnlichen Veranstaltungen teilzunehmen.
Außerdem wäre es schön, wenn das auch dazu beitragen könnte, meinen Ruf in der Öffentlichkeit zu verbessern. Ich bin im vergangenen Jahr immerhin 50 geworden. Zunächst war das für mich nur irgendeine Zahl. Aber dann habe ich gedacht: Alter, Du hast zwei Drittel Deines Lebens hinter Dir. Es wird Zeit, Dein Lotterleben zu beenden. Also bemühe Dich, in Deinem letzten Drittel verstärkt Gutes zu tun.
Frage: Drafi, mit "Amen" und "Das ist Er" hast Du zwei religiöse Singles in Folge veröffentlicht. Ist das ein Trend, den Du nun auch weiterhin schwerpunktmäßig verfolgen wirst?
D.D.: Nein, obwohl ich auch bei meinen nächsten Produkten sehr nachdenkliche Texte haben werde. In einer Situation, in der über 4 Millionen Menschen arbeitslos sind, kann ein Künstler mit Verantwortungsbewusstsein nicht einfach nur Schlager in Form von Liebesliedern schreiben.
In Kürze erscheint eine Maxi-Single mit 3 Songs, die ich im Duett mit Kristina Bach aufgenommen habe ("Gib nicht auf). Diese sind eigentlich sehr charakteristisch für die Musik, die ich in der nächsten Phase machen möchte.
Im Herbst werde ich dann ein neues deutschsprachiges Album veröffentlichen ("Zukunft" erschien dann erst im Sommer 1998 – der Verf.).
Frage: Für Anfang der 80er Jahre war ein Blues-Album angekündigt, dass Du mit der "Pee Wee Blues Gang" einspielen wolltest. Anfang der 90er hast Du in einem Fernsehinterview erklärt, Dein nächstes Album würde eine Rhythm'n'Blues-Platte werden. Beide Projekte sind nie ans Licht der Öffentlichkeit gelangt. Wirst Du demnächst auch mal wieder etwas für den internationalen Markt produzieren?
D.D.: Das werde ich mit Sicherheit!
Frage: Wann?
D.D.: Das kann ich nicht sagen. Solch ein Projekt kommt mir einfach. Das kann jederzeit auf der Toilette geschehen. Plötzlich ist ein entsprechender Einfall da.
Frage: Wie entscheidest Du denn, ob Du etwas in Englisch oder in Deutsch produzierst. Gibt es da Kriterien?
D.D.: Nein, das ist völlig ungeplant. Mir kommen Text und Musik gleichzeitig, wenn ich komponiere. Das kann in deutscher wie in englischer Sprache passieren. Das ist wirklich zufällig.
Frage: Wir meinen uns zu erinnern, dass Du 1971 eine englischsprachige LP veröffentlicht hast, die auch den von Dir als Single veröffentlichten Song "United" enthielt. Ist das richtig?
D.D.: Ja, das stimmt! Das Album ist damals bei Metronome erschienen. Es müsste, wenn Ihr Interesse habt, es Euch zu beschaffen, bei der (Plattenfirma) PolyGram in Hamburg zu erhalten sein. Die müssten noch einige Exemplare besitzen.
1998/99: Der gesundheitliche Zusammen- und ein Aufbruch zu neuen Ufern
Drafi, der bereits in der Verfilmung von Giordanos "Bertinis" erfolgreich eine Gastrolle absolviert hatte, sollte in einem ARD-Tatort mitwirken. Die letzte Sequenz des Krimis sah vor, ihn in einem Sarg liegend zu Grabe zu tragen. Ein Sachverhalt, der seinem Manager Heer vor dem Hintergrund der Ereignisse vom November 1998 verständlicherweise einen Schauer über den Rücken laufen ließ: Deutscher war das gesamte Jahr von einem Auftritt zum nächsten gehetzt. Er hatte ein neues Album produziert und war in der letzten Phase intensiv damit beschäftigt, mit Stefan Körber sein "Guardian Angel 98" zu promoten. Ein unglaublicher Stress! Zudem zeichnete sich im Oktober 1998 immer deutlicher ein Konkurs seiner Plattenfirma ab. Drafis reichlicher Alkohol- und Nikotingenuss taten ein übriges. Sein Körper streikte. Er brach zweimal zusammen.
Natürlich ließ die Boulevardpresse die Gelegenheit nicht aus, der Öffentlichkeit erneut "Das wilde Leben des Drafi Deutscher" in groß aufgemachten Retrospektiven, die vor Halbwahrheiten und freien Erfindungen nur so strotzten, nochmals genüsslich vorzuführen: Drafi abgelichtet vor seiner Hausbar, in Umarmung mit seinen jeweiligen Liebschaften bzw. weiblichen Fans und - quasi unvermeidlich - eine Aussage seinerseits aus den frühen 80ern zum Drogenkonsum:" Bis auf Heroin und LSD habe ich alles ausprobiert!" Naheliegendes Resümee dieser "Berichterstatter": Es musste ja so kommen!
Was zunächst nach Schlaganfällen ausgesehen hatte und von den Medien auch entsprechend verbreitet wurde, stellte sich dann letztlich als die Folge einer schweren Diabetes heraus. Drafi begab sich in Therapie und beschäftigte sich ernsthaft mit dieser Krankheit, die ihm offenbar seine Mutter vererbt hatte. Er fasste den festen Vorsatz, sein Leben künftig entsprechend den Erfordernissen dieses Leidens in solidere Bahnen zu lenken. Seine Arbeit dient ihm dabei inzwischen durchaus als positiver Stress.
Erstes Ergebnis nach seiner Genesung war die Einspielung des Mixed Emotions-Albums "We Belong Together", erneut mit seinem früheren Partner Oliver Simon. Die Plattenfirma brachte die CD, auf der sich neben einer Neukomposition von Drafi und einer von Simon ausschließlich Remakes ihrer Großtaten aus den 80ern befanden, im späten Frühjahr 1999 mit dem Hinweis "Comeback des Jahres" auf den Markt. Die Medien übernahmen diesen Slogan ebenfalls und sorgten durch zahlreiche Fernsehauftritte für gute Promotion. Longplayer und das Single-Remake von "You Want Love (Maria, Maria)" schafften so einmal mehr überdurchschnittliche Verkaufszahlen und Chartplatzierungen im deutschen Raum.