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(Juni 2002)
Ina Martell - ein Name mit gutem Klang
Die Story einer beliebten DDR-Sängerin
1989, etwa zur Wendezeit. Im Radio läuft die Wiederholung der "Schlager-Revue", eine fast schon legendäre Wertungssendung in der ehemaligen DDR. Vertieft in meine Arbeit als Schriftsetzer, bekomme ich nur oberflächlich mit, was da aus dem Radio tönt. Plötzlich erhalte ich einen leichten Schlag in die Seite und eine Kollegin sagt: "Hör mal, ist das nicht Ina Martell". Tatsächlich hat die blonde Sängerin zu dieser Zeit versucht, ein Comeback zu starten mit Liedern wie "Ich weiß ein Lied zu singen", "Wir finden zurück" oder "Liebe weiß immer wohin".
Sie sang bereits im Kinderchor des Berliner Rundfunks, kam dann über die Junge-Talente-Bewegung zum Schlagergesang - Ina Martell, eine Sängerin mit dem "gewissen Etwas" in der Stimme. Im Jahre 1965 fing es dann, nach bestandener Mikrofonprobe, für die hübsche, blonde Berlinerin so richtig an. Das Autorenteam Schöne/Hamburger schrieb für Ina Martell den ersten Titel: "Wiederseh'n". Ein Schlager, wie auf den Leib geschrieben. Ihre sanfte, einschmeichelnde Stimme und ihr zartes Wesen machten Ina Martell und ihre erste Schallplatte über Nacht zum Star. Wochenlang belegte sie mit "Wiederseh'n" vordere Plätze in den Schlagerwertungssendungen des Rundfunks. Auch im Fernsehen trat sie auf.
Bis weit in die 70er Jahre hinein war Ina Martell mit ihrem "Wiederseh'n" einer der meistgespielten Titel der Sendung "Wünsch dir was".
Diesem erfolgreichen Start folgten weitere Rundfunk- und Plattenaufnahmen: "Zwei Küsse beim Nachhausegehn" (ebenfalls auf AMIGA), "Weil dein Herz einer andern du gibst" und "Komm noch mal vorbei". Auch internationale Spitzenschlager sang Ina Martell zu Beginn ihrer Laufbahn, wie später noch oft in ihrer Karriere.
Um ihre bereits gewonnene Bühnensicherheit weiter auszubauen, schloss Ina Martell sich ab 1966 dem Damen-Gesangsquartett "Kolibris" an. Auch solistisch wurden Fortschritte gemacht, so z.B. erfolgte die Absolvierung des neu gegründeten Studios für Unterhaltungskunst mit dem Berufsausweis als Endziel. Weiterhin folgten Gesangs-, Schauspiel- u. Ballettstunden, denn Ina liebäugelte etwas mit der Schauspielerei.
Natürlich kamen auch die Schlagerfreunde weiter auf ihre Kosten. Titel wie "Lach nicht über Liebespärchen" und "Liebe kann man nicht erzwingen" waren wiederum erfolgreich in den Schlagerparaden notiert. Auch der BRD-Titel "Er ist wieder da" gehörte inzwischen zum Repertoire der jungen Sängerin. Schade, dass nachgesungene Schlager aus der Bundesrepublik sich der Wertung in der DDR entzogen, da die äußerst gefühlvolle Interpretation durch Ina Martell die Originalaufnahme in den Schatten stellt.
Im Jahr 1967 war Ina Martell dann endlich auch auf der Leinwand zu sehen, im DEFA Musical "Hochzeitsnacht im Regen", allerdings in einer sehr winzigen Rolle. Bei einem persönlichen Gespräch mit der Künstlerin war durchzuhören, dass einige Szenen, in denen sie mitwirkte, der Schere zum Opfer fielen. Angemessenere Aufgaben gab es dafür beim Fernsehen. Der Deutsche Fernsehfunk verpflichtete Ina zur Mitarbeit im Interpreten-Ensemble. Kurz darauf wurde die Sendereihe "Schlager einer großen Stadt" aus der Taufe gehoben, wo Ina Martell zusammen mit Andreas Holm den Titel "Denn wir sind so verliebt" sang, eine seinerzeit populäre polnische Komposition. Aber auch hierzulande hatte Ina wieder große Erfolge zu verzeichnen. Ihre Titel entwickelten sich zu Dauerbrennern in den Schlagerparaden. In der DDR war es mitunter so, dass sehr gut laufende Rundfunkaufnahmen später als Platten erhältlich waren. Unverständlich, dass bei AMIGA zu dieser Zeit nur eine Single erschien: "Wenn du Hochzeit hast", übrigens ein persönlicher Lieblingstitel der Sängerin. Auf der B-Seite war der Schlager "Helle Nächte und Küsse" zu hören, zu dem die Künstlerin, wie schon des Öfteren, den Text beisteuerte. Als Gradmesser für die Beliebtheit der blonden Sängerin zeugten zwei "Silberne Mikrofone", die sie 1965 und 1967 vom damaligen Sender "Berliner Welle" verliehen bekam
Erwähnen möchte ich an dieser Stelle, dass auch Titel von Ina Martell in der Bundesrepublik gecovert wurden, wie der in den Augusttagen '68 auf Platte erschienene Slow-Fox "Doch mein Herz hat geweint", nachgesungen von Margot Eskens. Einmal wurde Ina Martell gefragt, wie sie sich auf den Inhalt eines Schlagers einstelle. Darauf antwortete sie: "Mir liegen vor allem solche, die unkompliziert, ehrlich und echt in ihrer Aussage sind. Titel, auf die ich - ohne billig sentimental zu werden Herz verwenden kann". Eine ganz andere Seite der Sängerin lernten wir in der AMIGA-Produktion "Heut' sehn uns alle Bostella tanzen", kennen, welche zugleich auch eine der ersten Aufnahmen mit Duett-Partner Michael Hansen war. Beide Interpreten waren zu dieser Zeit ständige Solisten der Fernseh-Sendereihe "7 treffen sich um 8".
Erste Chancen sich im Ausland zu bewähren, bekam Ina Martell Anfang 1969. Eine Tournee führte sie in die Städte Bagdad, Kairo und Damaskus. Währenddessen lief es zuhause weiterhin prächtig. Der Titel "Blumen aus Eis", auch auf AMIGA erschienen, katapultierte sich in der "Schlager-Revue" von Heinz Quermann bis auf Platz 5 der Jahreswertung. Ein weiterer Höhepunkt war das erste Fernseh-Musical der DDR "Vorsicht Kurven", in der Ina Martell die weibliche Hauptrolle übernehmen durfte, so wie es lange Zeit schon ihr Wunsch war.
Einen weiteren Erfolg konnte die Sängerin mit der Teilnahme am 4. DDR-Schlagerwettbewerb verbuchen, bei dem sie es bis zur Endrunde schaffte und es auf einen guten mittleren Platz brachte. Vergessen sei auch nicht das Internationale Schlagerfestival der Ostseeländer. Interpreten aus den anliegenden Oststaaten sowie aus Skandinavien gaben sich, wie jedes Jahr, in Rostock ein Stelldichein. U.a. mit von der Partie im Sommer '69: Nina Lizell aus Schweden.
Mit dem langsamen Walzer "Fang meine Träume ein" konnte sich Ina Martell wiederum sehr günstig platzieren und schaffte es in der Jahresbilanz der "Schlager-Revue" bis auf den achten Platz.
Anfang des Jahres 1970 öffnete der Deutsche Fernsehfunk die Pforten zu einer neuen Sendereihe: "Schlagerstudio". Man wollte dem ZDF mit seiner Hitparade nicht nachstehen. In der Erstsendung war dann auch alles vertreten, was Rang und Namen hatte: Nina Lizell, Zsusza Koncz, Andreas Holm... und natürlich Ina Martell. Sie sang von einem "Troubadour" - ein schönes Lied, aber nicht kommerziell ausgerichtet. Dafür boomten nun die Duett-Aufnahmen. Als Renner erwies sich das schlagerhafte Lied "Der Zug fährt ab", auch eine Plattenproduktion. Ina Martell und Michael Hansen erreichten damit immerhin Platz 7 in der Jahresauswertung der "Schlager-Revue". Neben Doerk / Schöbel und Frederic / Uhlenbrock strahlte nun auch ein neuer Stern am Schlagerduett-Himmel der DDR.
Auch internationale Erfolgstitel befanden sich im Repertoire von Ina Martell und Michael Hansen, z.B. das Doktor-Lied "Bum-bidibum", das bereits 1961 in der Bundesrepublik zum Hit avancierte. Nachproduziert wurde auch der Titel "Denn wir sind so verliebt", der einige Jahre zuvor mit Andreas Holm fürs Fernsehen aufgenommen wurde. In der DDR war es so, dass für das Fernsehen produzierte Titel den Medien Funk und Platte nicht zugängig waren und somit einer Popularisierung im Wege standen. Einige wenige Ausnahmen gab es jedoch. Erwähnt sei noch der Schlagerwettbewerb 1970, bei dem Ina Martell einen Titel von Frank Schöbel vortrug und ebenfalls die Finalrunde erreichte.
Wie bereits eingangs darauf aufmerksam gemacht, coverte Ina Martell Anfang der 70er Jahre einige Hits aus der Bundesrepublik, u.a. "Alles und noch viel mehr", "Komm, komm zu mir" oder "An jenem Tag". Diese Schlager wurden oft in den Rundfunkprogrammen hierzulande eingesetzt und bescherten der Sängerin auch dadurch eine anhaltende Popularität, jetzt, wo die Erfolgswelle langsam nachließ.
Allerdings war zu dieser Zeit auch eine Art Wende in der DDR-Tanzmusik zu erkennen. Erste Beatgruppen machten sich breit, wie z.B. die Puhdys oder Panta Rhei mit Veronika Fischer. Sie verdrängten den einfachen Schlager mehr oder weniger. Trotzdem gelang Ina Martell mit besonders einem Titel, der dem neuen Trend angepasst war, der Sprung nach vorn. Ein Platz 14 in der 7ler Jahresbilanz der "Schlager-Revue" für "Am Sonntagnachmittag". Es sollte ihre letzte Spitzenposition sein. Auch mit den Duett-Aufnahmen ging's langsam bergab. Ein Höhepunkt in dieser Zeit war noch einmal die Teilnahme an einem ungarischen Songfestival. Ina brachte von dort einen chanson-haften Schlager mit und konnte hierzulande unter dem Titel "Bäume, Blumen, bunte Stadt im Licht" einen Achtungserfolg verbuchen. Aus dieser Zeit stammte auch die letzte Solo-Aufnahme bei AMIGA: "Ich war die Frau Heinrichs VIII." - ebenfalls eine bekannte ungarische Komposition, die in der DDR bereits Zsuzsa Koncz kreiert hatte. Weitere Schlager im typischen Ina Martell-Sound kamen nicht mehr so an und die Künstlerin legte eine schöpferische Pause ein.
Etwa so ab 1975 verlegte Ina ihr künstlerisches Schaffen ans Theater, nach Rostock. Zu dieser Zeit entstand auch das Lied "Mutter, deine Augen" - eine Hommage. In die Hitparade kam dieser Titel allerdings erst 1990, als diese Aufnahme von Ina Martell privat produziert wurde. Ebenfalls in die Mittsiebziger Jahre fällt auch die Geburt der Tochter der Sängerin. Dann und wann machte sie noch mit neuen Titeln, wie z.B. "Eine Liebe für alle Tage", auf sich aufmerksam, trat im "Schlagerstudio" auf, konnte jedoch an ihre einstige Hit-Welle nicht mehr so recht anknüpfen.
Nachdem sie der Erfolg praktisch verlassen hatte - seltsam: heute reißen sich die Fans um ihre Titel - schloss sich Ina Martell einem Programm der Konzert- und Gastspieldirektion an und erfüllte sich somit selbst einen Wunsch. In einem Interview nach dem Wichtigsten in ihrem Beruf gefragt, sagte die Sängerin: "Den unmittelbaren Kontakt zum Publikum, deshalb möchte ich jetzt vor allem auch öffentlich auftreten". Längere Zeit tourte sie in dem maritimen Programm "Heut' geht es an Bord" landauf und landab. Neue Titel im Funk und Auftritte im Fernsehen wurden weniger. Trotzdem war der Name Ina Martell immer noch mit einer gewissen Magie verbunden. Das zeigte sich bei Wunschsendungen im Rundfunk genauso wie innerhalb ihrer Gastspiele sowie bei Theateraufführungen.
Ende der 80er Jahre wollte es Ina Martell noch einmal wissen und versuchte ein Comeback, siehe eingangs. Und obwohl die Titel relativ gut liefen, startete die Sängerin im Jahre 1990 einen letzten Versuch, ihre Karriere nochmal in Schwung zu bringen. Es war der bereits Mitte der 70er Jahre entstandene Titel "Mutter, deine Augen", ein flotter, publikumswirksamer Schlager, der sich auch recht günstig in einer bereits gesamtdeutschen Hitparade platzierte. Eine weitere Aufnahme kam leider nicht mehr zum Einsatz, aus welchen Gründen auch immer. Danach war Schluss. Ina Martell hängte die Singerei an den Nagel und betreibt seit 1991/92 ein Bestattungsinstitut in Rostock. Die Fans aber, und das sind nicht wenige, werden sie und ihre Lieder nicht vergessen.