67/54-59
(Juni 2002)

Helmut Schmidt

Einen Hit und drei Namen

von Wälz Studer

Einen Hit in Österreich, drei Namen und Geld verdient mit der deutschen Version von "Dear Mrs. Applebee". Das ist das Fazit der Schallplattenkarriere des Helmut Schmidt. Seine Laufbahn begann beim Rock'n'Roll und endete im Schlager.

Helmut Schmidt ist eines der vielen Opfer des mangelnden Verständnisses für Pop-Geschichte in Deutschland. Kein Chronist der deutschen Unterhaltungsmusik hat sich mit dem Schaffen dieses Sängers aus Würzburg bisher befasst. Schmidt hat rund 20 Singles veröffentlicht, darunter die deutschen Versionen von Hits wie "Lucille" oder "With a little help from my friend".

Start als James Corin

Helmut Schmidt

Ausgangspunkt für die Schallplattenkarriere des Helmut Schmidt war ein Sieg im Nachwuchswettbewerb der Ariola im Jahre 1960. Am 17. September 1960 wurde er in der Karlsruher Schwarzwaldhalle gemeinsam mit sieben anderen Siegern (darunter Pichi) mit einem Platten- und Ausbildungsvertrag ausgezeichnet. Bereits im November 1960 kam mit einer Coverversion von "Va bene" auf Baccarola der erste Titel von Helmut Schmidt heraus, allerdings unter dem Pseudonym James Corin. Er war damals 19 Jahre alt und stand kurz vor dem Abitur.

Helmut Schmidt (geb. 19.8.1941) begeisterte sich, dank Elvis Presley, für den Rock'n'Roll. Er spielte dessen Songs auf einer Gitarre nach, die die Mutter eigentlich seiner Schwester geschenkt hatte. Bald trat er bei Schul- und Vereinsveranstaltungen "als Kopie von Elvis" auf, wie er in einem Interview mit dem Schweizer Rundfunksender Radio Munot sagte. Im Raum Würzburg erreichte er schnell einen hohen Bekanntheitsgrad. Die Zahl der Auftritte nahm ein Maß an, das die Eltern um die schulische Karriere ihres Sohnemannes fürchten ließ. Sie steckten ihn deshalb in ein Internat. Denn in jener Zeit fuhr Schmidt des Öfteren nach Berlin, wo er diverse Titel für Baccarola und Ariola einsang. Pro Titel bezahlte ihm die Schallplattenfirma in der Regel zwischen vier- und fünfhundert Mark.

Baccarola setzte ihn bevorzugt für Nachzieher-Aufnahmen von Peter Kraus und Gerd Böttcher ein. So nahm er Coverversionen von Böttchers "Adieu-Lebewohl-Goodbye" und "Ich such dich auf allen Wegen" auf. Von Kraus coverte er "Va bene" und "Schwarze Rose Rosemarie".

Helmut Schmidt 2

Bei der allerersten Single "Va bene" verpasste ihm die Plattenfirma, aus heute nicht mehr nachvollziehbaren Gründen, das Pseudonym James Corin. Alle späteren Produktionen, ob für das Billiglabel Baccarola oder für das Hauptlabel Ariola, erschienen unter Helmut Schmidt. Bei den Aufnahmen wird oft eine Begleittruppe mit dem Namen "Rivieras" angegeben. Schmidt sagt, dass es sich dabei um einen Chor handle, von dem er aber nie jemanden kennengelernt hatte. Auch an die Sängerin Ursula Junkert, mit der zusammen er "Lucille" eingesungen hat, kann er sich nicht mehr erinnern.

Die Ariola war offenbar mit dem Erfolg von Helmut Schmidt nicht ganz zufrieden. Sie veröffentlichte 1962 seine letzte Single. Bereits damals trat Schmidt live mit einer Band auf. "Die Arbeit mit der Band, die Auftritte vor Publikum waren mir stets wichtiger als die Schallplattenaufnahmen. Außerdem war ich wohl für die Plattenfirmen zu sperrig und zu widerspenstig." So das Fazit von Helmut Schmidt seiner Plattenkarriere.

Intermezzo als Teddy Bachner

1963 unterschrieb Schmidt einen Vertrag bei der Deutschen Vogue. Dort taufte man ihn um in Teddy Bachner. Unter diesem Namen kamen drei Singles heraus. Offenbar befriedigte der neue Name nicht. Denn bereits im Mai 1964 firmierte der Sänger wieder unter Helmut Schmidt.

Schmidt studierte unterdessen Volkswirtschaft und feierte als Bühnenkünstler mit seiner Begleittruppe, den "Jets", gute Erfolge. Die Jets setzten sich damals zusammen aus Klaus Keller, Schlagzeug, Sammy Meininger, Bass, Günter Seufert, Gitarre, und Helmut Schmidt, Gesang und Gitarre.

Die Plattenkarriere erfuhr erst 1967 wieder einen Schub, als die "Deutsche Vogue" das Sublabel "Hit-Ton" lancierte. Schmidt gehörte zum Künstlerstamm des neuen Poplabels.

"Dear Mrs. Applebee" beinahe abgelehnt

Als erste Aufnahme produzierte die Firma mit Helmut Schmidt die deutsche Version des Hits von David Garrick, "Dear Mrs. Applebee". "Ich fand die Nummer anfänglich nicht gut und wollte sie nicht aufnehmen", sagte Schmidt im Interview mit Radio Munot. "Dear Mrs Applebee" wurde zum Renner in der Hitparade von Radio Luxemburg. Der Titel kam hoch bis auf Platz drei. Schmidt: "Mit der Nummer habe ich zum ersten Mal Geld verdient mit einer Platte. Mit dem Geld habe ich mir damals einen Karmann Ghia (schickes Sportmodell von VW) gekauft." Es sollte noch besser kommen. Die Nachzieher-Produktion "Das Ende vom Lied" (deutsche Version der Roy Orbison-Nummer "Communication Breakdown) kletterte im September 67 in Österreich bis auf Platz 19 hoch in den Charts. Es sollte die einzige Hitparadennotierung für Helmut Schmidt bleiben. Den Erfolg der beiden ersten "Hit-Ton"-Singles konnte er nie bestätigen. Ende 1968 lief der Vertrag bei Vogue aus. Eine letzte Produktion erschien 1969 auf Decca.

Helmut Schmidt 3

Danach verabschiedete sich Helmut Schmidt aus dem Plattengeschäft. Nicht aber von der Bühne. Mit seinen "Jets" tritt er auch heute noch im Raum Würzburg auf. Heute hat die Band folgende Besetzung: Reiner Egert, Bass, Erich Götzner, Gitarre, Klaus Haderbauer, Tasten, Dieter Marschall, Schlagzeug, und Helmut Schmidt, Gesang, Rhythmusgitarre. Diese Besetzung ist seit 1974 unterwegs.

Helmut Schmidt wurde Lehrer und ist heute Studiendirektor an einer Würzburger Schule. Er sagt: "Aus mir hätte wohl ein erfolgreicheres Schlagersternchen werden können, wenn ich mich mehr angestrengt hätte und wenn ich nicht stets so vernünftig gewesen wäre und den Beruf an erste Stelle gesetzt hätte."

Helmut Schmidt hat - um bei seinem Bild vom Sternchen zu bleiben - nur kurzfristig schwach den Himmel des deutschen Schaugeschäftes erleuchtet. Und doch verdient er einen Platz in der Popgeschichte: Er gehörte in den frühen 60er Jahren zu einem kleinen ehrgeizigen und erfolgversprechenden Stamm von Nachwuchskünstlern, die ins Hitrennen geschickt worden sind. Schmidt sollte die Rock'n'Roll-Masche auf deutsch weiterstricken. Nur hatte bereits 1960 der Payola-Skandal in Amerika den Rock'n'Roll in seinen Grundfesten erschüttert. Mit Tony Sheridan war anfangs 1961 der erste Vertreter des Beat in den deutschen Charts klassiert. Schmidt wurde in der Endphase des deutschen Rock'n'Roll als Youngster ins Rennen geschickt, ein Rennen, das nicht zu gewinnen war. Die Branche versuchte zu jenem Zeitpunkt mit immer jüngeren und immer neuen Gesichtern dem Teenagerpublikum einen Sound, der nicht mehr ganz up-to-date war, zu verkaufen. Im Trend waren aber immer weniger die deutschen Teeny-Stars à la Rock'n'Roll oder Highschool-Rock, sondern Gruppen, die in den Clubs der Großstädte auftraten und das Nahen des Beat ankündigten.

Das Dilemma einer ganze Garde von deutschen Nachwuchskünstlern war wohl, dass das Publikum, das sie ansprechen sollten, den Sound nicht goutierte und das Publikum, das den Sound goutierte, die Künstler nicht akzeptierte. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass in jener Zeit die Namen der Künstler oft gewechselt wurden. Und es ist nicht erstaunlich, dass Helmut Schmidt erst nach Mitte der 60er Jahre Erfolg auf dem Plattenmarkt hatte. Damals stimmte Sound und Image für das Publikum: Pop-Sound in einem modernen Arrangement für ein jugendliches Schlagerpublikum.