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(August 2004)
Toni Sailer
Ski-Sport, Show und schwarze Scheiben
Wer erinnert sich nicht an die vielen singenden Sportler, die vor allem während der 60er Jahre in der deutschen Schlagerszene mitmischten? Ob Bubi Scholz oder Franz Beckenbauer - jeder, der nur halbwegs in der Lage war, gesangsähnliche Töne von sich zu geben, wurde von den Plattenfirmen vor das Mikrofon gezerrt. Torhüter Radi Radenkovic gehörte ebenso dazu wie Hürdenläufer Martin Lauer. Und Marika Kilius, Hans-Jürgen Bäumler und Manfred Schnelldorfer waren nicht nur Stars auf dem Eis, sondern auch im Schlagergewerbe.
Zu den wenigen, die wirklich musikalisch waren und die Sache ernst nahmen, gehörte Ski-Ass Toni Sailer. Als einer der Ersten wurde er bereits Ende der 50er Jahre von der Plattenindustrie als Sänger "entdeckt". Ausschlaggebend dafür war aber wohl vor allem die enorme Popularität, die ihm seine sportlichen Erfolge eingebracht hatten.
Als Sohn eines einfachen Spengler- und Glasermeisters wird Anton Seiler am 17.11.1935 in Kitzbühel geboren. Schon als Kind ist er ein so guter Skiläufer, dass er ein Schülerrennen nach dem anderen gewinnt. "BEI UNS ZUHAUSE SIND ALLE SKI GEFAHREN", meint er rückblickend. "MEINE BEIDEN GESCHWISTER, DIE ÄLTER WAREN ALS ICH. MEIN PAPA, DER EINST SELBST RENNLÄUFER WAR. UND AUCH MEINE MAMA."
Doch Tonis Künste auf den "Brettl’n" stellen die der anderen in den Schatten. Bald ist er Mitglied der Nationalmannschaft und ab 1953 taucht sein Name immer wieder im Sportteil der Zeitungen auf.
Trotz seiner Erfolge muss er daheim kräftig mitarbeiten. "DIE ARBEIT WAR GROSS GESCHRIEBEN" erinnert er sich, "DENN SONST HÄTTEN WIR NICHT EXISTIEREN KÖNNEN. ABER DAS HAT MIR NICHTS AUSGEMACHT."
Er läuft von Sieg zu Sieg, holt sich Goldmedaillen und Weltmeistertitel und gilt als bester Skiläufer der Welt. Gerade mal 20 Jahre alt, ist er schon ein Idol. Er genießt Ruhm und Beifall, doch der feste Boden unter den Füßen kommt ihm nie abhanden.
Da seine Popularität bald jeden Rahmen sprengt und er zudem blendend aussieht, ist es nicht verwunderlich, dass die Filmbranche sich für ihn interessiert.
1956 wird er zu Probeaufnahmen für "Die Geierwally" eingeladen. Natürlich reizt ihn das Angebot, doch seine ersten Versuche vor der Kamera sind nicht von Erfolg gekrönt. Keiner erklärt ihm, was er zu tun hat und noch bevor die erste Einstellung im Kasten ist, weiß er schon, dass die Sache danebengeht. Zunächst hat er die Nase voll vom Film.
Und doch kann man ihn ein Jahr später auf der Kinoleinwand sehen. Nicht etwa - wie üblich - in den Sportberichten der Wochenschau, sondern als Hauptdarsteller in der Liebeskomödie "Ein Stück vom Himmel."
Die Bavaria-Produktion hatte es geschafft, dass er seine Meinung über das Filmgeschäft änderte, denn diesmal war den Aufnahmen eine sorgfältige Vorbereitung vorausgegangen und die Zusammenarbeit mit Regisseur Rudolf Jugert klappte ausgezeichnet. Doch man entdeckt nicht nur sein schauspielerisches Können, sondern auch sein Gesangstalent.
Franz Grothe, der die Musik für den Film komponiert, schreibt ihm das Lied "Ich weiß mehr, als du glaubst" auf die Stimmbänder, das in die Handlung eingebaut wird. Die Plattenfirma "Polydor" zeigt sofort Interesse und so gibt es auch eine Single-Veröffentlichung davon.
Toni Sailers Filmdebüt wird von der Kritik freundlich aufgenommen und ist auch geschäftlich ein Erfolg. Nach einem letzten Rennen in Bad Gastein beendet er 1958 offiziell seine Sportlerlaufbahn und steht gleich wieder für einen Film vor der Kamera. Diesmal berücksichtigt das Drehbuch auch seine sportlichen Fähigkeiten, denn in "Der schwarze Blitz" hat er viele Szenen als Skiläufer. Weitere Filme folgen und auch Schallplatten werden regelmäßig veröffentlicht. Unter den beliebtesten Schauspielern des Jahres 1959 liegt er bereits auf Platz 13. Ein Beweis, dass er zu den Favoriten des Publikums gehört.
Einer seiner Filme heißt "12 Mädchen und ein Mann". In diesem Streifen sind ein Dutzend junge Damen hinter ihm her. Doch der sympathische und gutaussehende Tiroler ist nicht nur auf der Leinwand bei den Frauen begehrt. In den Gazetten liest man von einer Affäre mit Ingrid Andree und von einem Flirt mit Romy Schneider. Sogar das Gerücht einer Verlobung mit Kai Fischer, die in ihren damaligen Filmen auf leicht bekleidete Rollen spezialisiert ist, macht die Runde, wird vom blitzsauberen Toni aber sofort und vehement dementiert.
Durch seine sportlichen Leistungen hat sich Toni Sailer nicht nur im deutschsprachigen Raum einen hohen Bekanntheitsgrad erworben. Beliebt und umschwärmt ist er besonders in Japan, was sich allein daraus ersehen lässt, dass dort sogar ein Ski-Gebiet nach ihm benannt wird, das 'Sailer-Valley'. Außerdem spielt er 1960 die Titelrolle in dem japanischen Spielfilm "Der König der silbernen Berge". Und weil er so gefragt ist, werden seine deutschen Plattenaufnahmen auch im Fernen Osten veröffentlicht.
Im Januar 1961 hat in Deutschland der prächtig ausgestattete Revue-Film "Kauf dir einen bunten Luftballon" Premiere, in dem Toni Sailer als Partner der Eislaufprinzessin Ina Bauer zu sehen ist. Hier kann man ihn abwechslungshalber mal als Schlittschuhläufer bewundern und singen darf er natürlich auch. Und weil dieser Streifen die Kassen kräftig klingeln lässt, folgt anschließend, mit fast gleicher Besetzung und ähnlich konzipierter Story, unter dem Titel "Ein Stern fällt vom Himmel" ein weiteres Kino-Märchen, das zusätzlich mit Schlagerstars wie Inge Brandenburg und Wyn Hoop garniert wurde.
Tonis Leinwandkünste finden also Anklang beim Publikum. Seine Platten sind jedoch weniger gefragt. Zwar schreiben profilierte Autoren wie Heino Gaze, Lothar Olias oder Franz Grothe für ihn, doch handelt es sich in der Regel nicht um typische Tagesschlager, die sich nach dem gerade gängigen Geschmack richten. Und daran liegt es wohl auch, dass er nicht den Sprung in die Hitlisten schafft. Denn als Sänger weiß er durchaus zu gefallen. Selbst die damaligen Plattenkritiker äußern sich durchweg positiv: SICHER IST ER KEIN CARUSO, ABER ER HAT EINE WOHLKLINGENDE WARME STIMME UND VOR ALLEM BRINGT ER SEINE LIEDER MIT VIEL HERZ.
Inzwischen hat sich Toni Sailer ernsthaft für den Beruf des Schauspielers entschieden und ist nach Berlin gezogen. Den Gesang gibt er zunächst auf. Stattdessen nimmt er bei Else Bongers Schauspielunterricht und spielt von nun an auch Theater, denn er ist überzeugt, dass dies die sicherste Basis seiner Karriere ist. Heute sagt er: "ES WAR MIR GLEICH, OB ICH VOR 50 LEUTEN SPIELTE ODER VOR 500. ES GING ALLEIN DARUM, DAS PUBLIKUM ZUM LACHEN ODER ZUM WEINEN ZU BRINGEN. WENN ICH DEN KONTAKT ZUM PUBLIKUM BEKAM UND SPÜRTE, DASS DER FUNKE ÜBERSPRANG, DAS WAR EINE FREUDE FÜR MICH."
Ende 1964, als die anfangs erwähnte Welle der singenden Sportler ihren Höhepunkt erreicht, holt man auch Toni Sailer wieder ins Plattenstudio. Die Telefunken produziert mit ihm zwei Singles. Zunächst veröffentlicht man den auf seine Popularität in Japan bezugnehmenden Titel. "Am Fudschijama blüht kein Edelweiß". 1965 erscheint mit "So long little Darling" ein Song, der sich ganz offensichtlich Hans-Jürgen Bäumlers Hit "Sorry little Baby" zum Vorbild genommen hat.
Doch beide Platten laufen nur mittelprächtig und die Telefunken sieht von weiteren Aufnahmen ab. 1966 versucht es Toni Sailer mit der Werner Scharfenberger-Komposition "Liebe im Winter" erneut, diesmal bei "International". Dem ersehnten Platz an der Schlagersonne bringt ihm aber auch diese Scheibe nicht näher. Dafür ist er mittlerweile ein viel beschäftigter TV-Star. Man sieht ihn in zahlreichen Shows und Fernsehfilmen und viele Jahre steht er in der Publikumsgunst weit oben. Seine letzte große Rolle spielte er Anfang der 90er Jahre in der Serie "Die Leute von St. Benedikt".
Heute lebt Toni Sailer, der seit 1976 verheiratet ist, immer noch bzw. wieder in Kitzbühel. In seiner knapp bemessenen Freizeit spielt er am liebsten Golf, läuft aber auch hin und wieder gerne Ski. Er ist bescheiden und natürlich geblieben. Gesundheit und innere Zufriedenheit sind ihm das Wichtigste. Und er wirkt heute noch sehr jugendlich.