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(März 2001)

"Bim Bam" - die Hannes Wüst Story

von Peter Stähli

Müsste man Roll-Platten der fünfziger Jahre auswählen, würde "Bim Bam" von Hannes Wüst bestimmt dazugehören. Erschienen Ende 1958 auf der EP "Party In Blue Jeans" (Decca DX 2044), war der Titel lange Zeit ein Geheimtipp unter Sammlern. 1987 wurde "Bim Bam" auf der Bear Family-LP "Jive Jive Jive in den 50er Jahren, Vol. 2" zum ersten Mal wiederveröffentlicht. Dabei wurde der Name des Sängers irrtümlicherweise mit "Harry" Wüst angegeben. Inzwischen ist das Stück auch auf der Bear Family-CD "Halbstarke" erschienen, mit richtig geschriebenem Vornamen.

Hannes Wüst

Über die Identität des Sängers wurde verschiedentlich spekuliert. Er sei Österreicher und hieße richtig Hannes Obermair, schrieb 1986 ein deutsches Rock'n'Roll-Magazin. Der Name Obermair ist auf der Platte als deutscher Texter von "Bim Bam" aufgeführt. Außerdem ist auf der EP vermerkt, dass Hannes Wüst von Joe Schmid und seinem Orchester begleitet wird. Diese Spur führt nach Zürich: Joe Schmid war der ältere Bruder des Schweizer Gesangstrios Geschwister Schmid und Leiter des Zürcher Musiklokals "Kindli".

1987 arbeitete ich an einer Dokumentation über die Anfänge der Schweizer Rock-Musik. Da möglicherweise auch Hannes Wüst dazugehört, begann ich Nachforschungen über ihn anzustellen. Textautor Gilbert Obermair war nicht der gesuchte Sänger und konnte keine Angaben zu Wüst machen. Joe Schmid war vier Jahre zuvor verstorben. Nach mehreren Telefonaten landete ich bei Peter Hinnen. Er erinnerte sich aus seiner "Kindli"-Zeit an Wüst, hatte aber den Kontakt zu ihm längst verloren. Woher Hannes Wüst stammte und ob dies ein Pseudonym ist, wusste Hinnen nicht. Zahlreiche Recherchen im Umfeld von Peter Hinnen und der "Kindli"-Szene sowie die Suche in Telefonbüchern nach Personen mit Namen Hannes Wüst blieben erfolglos. Im Laufe der nächsten Jahre fragte ich bei Interviews mit Künstlern nebenbei stets nach Hannes Wüst. Aber niemand wusste etwas über diesen Sänger.

Mitte November 1999 saß ich vor meinem Computer und surfte im Internet, als mir plötzlich der Name Hannes Wüst einfiel. Hannes Wüst im Internet? Warum eigentlich nicht? Ich holte das Suchhilfe-Programm "Google" auf den Bildschirm, tippte den Namen "Hannes Wüst" ein und wartete. Resultat: 1 Treffer, nämlich eine Werbeseite für ein Restaurant namens "Hexenküche" in Konstanz am Bodensee. Inhaber: ein Hannes Wüst. Ich rief an und bekam den Chef ans Telefon.

"Guten Abend, mein Name ist Peter Stähli, ich telefoniere aus Bern. Ich suche einen Sänger namens Hannes Wüst. Haben Sie früher gesungen?"

"Ja, habe ich."

"Haben Sie auch eine Schallplatte gemacht?"

"Stimmt, von mir gibt es eine Platte."

"Wie heißt sie?"

"Party in Blue Jeans."

Bingo, Volltreffer! Endlich hatte ich den Mann gefunden. Dem Internet sei Dank. Zwei Wochen später fuhr ich mit Aufnahmegerät und Fotoapparat nach Konstanz, um zu erfahren, wer der mysteriöse Sänger von "Bim Bam" ist.

Hannes Wüst 2

Hannes Wüst - sein bürgerlicher Name - ist Deutscher. Er wurde am 16. Juni 1936 in Zürich geboren. Seine Mutter war Schweizerin. Sein Vater hatte zwar einen deutschen Pass, war aber in der Schweiz aufgewachsen. Die ersten Schuljahre absolvierte Hannes Wüst in Zürich. Sein Vater arbeitete zu dieser Zeit als kaufmännischer Angestellter beim deutschen Generalkonsulat in Zürich.

Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges geriet die Familie Wüst - Hannes hat noch eine ältere Schwester - in Schwierigkeiten: Da Vater Wüst bei den Nationalsozialisten mitgearbeitet hatte, wurde die Familie aus der Schweiz ausgewiesen. Am Silvester 1945 zogen die Wüsts nach Konstanz. Die Lebensbedingungen waren hart. Hannes Wüst musste sich an eine neue Umgebung und die hochdeutsche Sprache gewöhnen. Seine restliche Schulzeit absolvierte er in Konstanz.

Hannes Wüst fiel bereits in der Schule mit seinem Gesangstalent auf. Sein größter Wunsch war, Gitarre zu spielen. Gegen Ende der Schulzeit schenkte ihm sein Vater eine Framus-Gitarre. Nun wurde fleißig geübt. Nach dem Schulaustritt erlernte Hannes Wüst zunächst den Beruf des Zimmermanns. In seiner Freizeit besuchte er den Gitarren-Unterricht. Nachdem er die Gesellenprüfung als Zimmermann erfolgreich bestanden hatte, begann er eine weitere Berufslehre als Maurer.

Inzwischen spielte Hannes Wüst mit einem Gitarristen und einem Akkordeonisten zusammen. Das Trio trat vor allem im süddeutschen Raum bei Tanz- und Unterhaltungsanlässen auf. Hannes Wüst sang und spielte Gitarre, immer öfter auch Kontrabass. Kaum hatte Wüst im Frühling 1958 die Maurer-Lehre abgeschlossen, wurde ihm eine Arbeitsstelle in Zürich, beim damals größten Bauunternehmen der Schweiz angeboten. Der Inhaber war ein früherer Schulkamerad seines Vaters. Hannes Wüst wollte das Abend-Technikum besuchen und Bauingenieur werden. Aber es kam anders: ohne es zu wollen, wurde er Berufsmusiker.

Das Trio mit Hannes Wüst war recht erfolgreich. Bei länger dauernden Engagements ließ sich Wüst jeweils von der Arbeit beurlauben. Im Sommer 1958 tat sich die Möglichkeit auf, zwei Monate in der Casa-Bar in Zürich zu spielen, ein finanziell sehr lukratives Angebot. Die drei Musiker beschlossen, die Chance zu packen. Täglich fuhr das Trio mit dem Auto von Konstanz nach Zürich und wieder zurück. In der Casa-Bar spielte Hannes Wüst für kurze Zeit nur mit dem Akkordeonisten Hugo Wittneven zusammen, weil der Dritte im Bunde in Konstanz mit dem Gesetz in Konflikt geriet und eingesperrt wurde. Dafür stieß als Ersatz ein versierter Gitarrist namens Gerd Martin zu den beiden. Er besaß ein Feeling für den damals populären Rock’n’Roll, und die drei Musiker verstanden sich bestens. Das Trio hatte mit seinen schwungvollen Darbietungen großen Erfolg. Vor dem Lokal standen die Leute Schlange. Hannes Wüst wusste nicht, wie ihm geschah...

Eines Tages tauchte Peter Hinnen in der Casa-Bar auf. Er hatte ein paar Jahre vorher als Kinderstar "Peterli" Hinnen in der Schlagerbranche für Schlagzeilen gesorgt. Was Hinnen in der Casa-Bar hörte, gefiel ihm, besonders Wüsts Cowboy-Jodler wie zum Beispiel "Ein richtiger Cowboy". Deshalb kam Hinnen kurz darauf erneut in die Bar, diesmal in Begleitung von Joe Schmid vom "Kindli", wo Hinnen regelmäßig auftrat. Die beiden waren beeindruckt von Wüsts gesanglichen Fähigkeiten und luden ihn ins "Kindli" ein. Dort trat Hannes Wüst nachher als Gastsänger auf. Dabei lernte er das Gesangstrio Schmid (Claire, Werner und Willy) kennen, das seit längerer Zeit auf Amerika-Tournee war, jedoch damals in der Schweiz Urlaub machte. Die Schmids verschafften Hannes Wüst nicht nur einen Auftritt am Schweizer Radio (in der Musiksendung "Rendez-vous im Studio 2", ausgestrahlt im Oktober 1958), sondern schlugen ihm auch vor, eine Schallplatte aufzunehmen. Werner Schmid übergab Wüst einen Stapel amerikanischer Singles mit der Aufforderung, er solle sich geeignete Nummern aussuchen. So stieß Wüst auf die damals brandneue Scheibe "Bim Bam" von Sam Butera (US Capitol 4014).

Hannes Wüst 3

Werner Schmid organisierte einen deutschen Text dazu. Zunächst wurde im "Kindli" in Zürich geprobt. Für die Plattenaufnahmen fuhr man ins Radiostudio Basel. Neben dem Fetzer "Bim Bam" wurden drei harmlose Schlager eingespielt: "Teenage Love", eine Komposition von Willy Schmid unter dem Pseudonym Trent-Holden, "So müsst’ es immer sein" (First And Last Romance) und "Keine Zeit" (Overnight). Von wem die Originalversionen der beiden letztgenannten Titel stammen, weiß Wüst nicht mehr.

Als die Decca-EP "Party In Blue Jeans" im November 1958 veröffentlicht wurde, war Hannes Wüst nicht mehr in Zürich. Die Schmids vom "Kindli" hätten ihn gerne dortbehalten. Aber Wüst hatte bereits andere Engagements in der Tasche. Als Gitarrist und Sänger reiste er mit der deutschen Band "Collies" für zwei Monate nach Bochum. Anschließend folgte ein Gastspiel im Schweizer Kurort Engelberg. Und plötzlich war Wüst das ganze Jahr ausgebucht. Der Kontakt zu den Leuten vom "Kindli" brach ab. Fünf Jahre lang trat Hannes Wüst als Profimusiker auf, vor allem in Süddeutschland, aber auch in der Schweiz und in Österreich. Die Vielfalt der Auftrittsorte reichte vom noblen Erste-Klasse-Hotel bis zum Striptease-Lokal. Gespielt wurde Tanz- und Unterhaltungsmusik, aktuelle Schlager und Evergreens.

1963 beschloss Hannes Wüst, seine Musikerlaufbahn zu beenden und ins Gastgewerbe einzusteigen. Im Spätsommer stand er im Casino des Hotels Kulm in St. Moritz ein letztes Mal als Profimusiker auf der Bühne. Kurz darauf mietete Wüst in Konstanz ein Grundstück direkt an der alten Stadtmauer. Als ausgebildeter Zimmermann und Maurer baute er in mehrmonatiger Arbeit eigenhändig ein Restaurant, das er "Hexenküche" taufte. Das Lokal wurde im November 1964 eröffnet. Seither ist Hannes Wüst dort als Gastwirt tätig. Die "Hexenküche" ist sein Lebenswerk. Wüst hat nie geheiratet, lebt aber seit langem mit seiner Partnerin Helga zusammen.

Für Hannes Wüst war die Platte "Party In Blue Jeans" eine lustige Episode, mehr nicht. Ambitionen für weitere Schallplatten hegte er keine. Zusammen mit Willy Schmid spielte Wüst ein paar Nummern ein, die als klingende Postkarten erschienen sind. An Einzelheiten erinnert er sich nicht, und Muster davon existieren keine mehr. "Party In Blue Jeans" blieb die einzige kommerziell veröffentlichte Schallplatte von Hannes Wüst.