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(Oktober 2002)
Jack White
Als Sänger kam er nie groß raus
Er gilt als erfolgreichster Schlagerproduzent Deutschlands. Seit den 80er Jahren ist er auch im internationalen Musikgeschäft aktiv und hat sich durch die Zusammenarbeit mit Stars wie David Hasselhoff, Audrey Landers, Laura Branigan oder Engelbert weltweit einen Namen gemacht. Jack White, der mit bürgerlichem Namen Horst Nussbaum heißt, stammt aus einfachen Verhältnissen. Der Weg ins Showgeschäft führte über den grünen Rasen, denn zunächst war er Fußballer. Trotz seines gigantischen Erfolges ist ihm der Ruhm nie zu Kopf gestiegen. Jack White ist bis heute erfreulich "normal" geblieben und das macht ihn so sympathisch.
Am 2.9.1940 wird Horst Nussbaum in Köln geboren. Sein Vater, der von Beruf Metzger ist, macht sich Anfang der 50er Jahre aus dem Staub und hinterlässt nichts als einen Berg Schulden. Die Mutter muss hart arbeiten, um sich und die Kinder - Horst hat noch eine jüngere Schwester – durchzubringen. Das Geld ist knapp und Horst verdient sich ein paar Mark nebenbei, indem er morgens vor der Schule Brötchen austrägt und samstagnachmittags Zeitungen. Er interessiert sich besonders für Sport und ist Mitglied in mehreren Vereinen. Entsprechend groß ist sein Betätigungsfeld: Basketball, Handball, Boxen, Leichtathletik - überall mischt er mit. Besondere Fähigkeiten zeigt er aber vor allem beim Fußballspielen.
Kein geringerer als Hennes Weisweiler entdeckt eines Tages sein Talent und holt ihn aus der A-Jugend. Schon ein Jahr später wird er Vertragsfußballer, spielt in verschiedenen Vereinen und landet schließlich beim FK Pirmasens. Die Mitspieler schätzen ihn nicht nur wegen seines sportlichen Könnens, denn Horst Nussbaum ist außerdem sehr musikalisch, hat meistens seine Klampfe dabei und ist ständig am Singen. Das hebt die Stimmung, wenn man zu Auswärtsspielen unterwegs ist und kommt auch gut, wenn man nach einem erfolgreichen Match im Vereinslokal den Sieg feiert.
Hennes Weisweiler, der die Laufbahn seines Schützlings aufmerksam verfolgt, ist zusammen mit dem Roy Black-Produzenten Hans Bertram und dem Trompeter Heinz Schachtner in einem Skat-Club. Da bleibt es nicht aus, dass man fast immer auch auf das Musikgeschäft zu sprechen kommt und eines Tages erzählt Weisweiler mehr nebenbei von Horst Nussbaum, dem singenden Fußballspieler. Hans Bertram wird hellhörig. Das wäre doch etwas für mich, denkt er sich und lässt Horst Nussbaum, der inzwischen Profi beim holländischen Club Eindhoven ist, eine Einladung zum Probesingen zukommen.
Und als er dann feststellt, dass der 1,87 m große Bursche durchaus Gesangstalent besitzt und außerdem auch noch sehr gut aussieht, bietet er ihm sofort einen Plattenvertrag an.
Allerdings ist Bertram der Meinung, dass der Name Horst Nussbaum für einen Schlagersänger nicht unbedingt vorteilhaft ist. Und so wie er aus Gerd Höllerich schließlich Roy Black machte, wird aus Horst Nussbaum nun Jack White.
Der erfährt es ganz nebenbei. Eines Tages fragt ihn die Sekretärin in Bertrams Büro: "Übrigens, Herr Nussbaum, wissen Sie schon, wie Sie heißen? Sie sind jetzt Jack White." Okay, warum nicht. Ihm selbst ist das ziemlich egal. Er freut sich darüber, dass er einen Plattenvertrag hat und träumt bereits von Karriere und Schlagerruhm. Dafür gibt er sogar den Fußball auf.
"Platzwechsel vom grünen Rasen auf die Bretter des Showgeschäfts" schreibt die Presse 1966. Doch ganz so einfach ist das nicht. Die erste Single ist ein Flop, die nächste läuft zwar schon etwas besser, ist aber längst noch kein Hit. Jack White arbeitet mittlerweile in einem Club in Kaiserslautern als Discjockey und erlangt dadurch mehr Popularität als durch seine Plattenveröffentlichungen, denn er hat großen Publikumszulauf und auch das Regionalfernsehen lässt es sich nicht nehmen, über ihn zu berichten.
Doch so schnell gibt Produzent Bertram nicht auf. Mit einer Coverversion des internationalen Hitparadenerfolges "Something Stupid" von Frank Sinatra und Tochter Nancy müsste es eigentlich klappen, meint er. Eine geeignete Duett-Partnerin für Jack White findet er in Brigitt Petry, einer begabten jungen Sängerin, die aus der DDR stammt. Die beiden haben einen Auftritt in der ZDF-Musikshow "Party mit Peter" und ein positives Echo bei den Radiostationen. Zwar reicht es immer noch nicht zum Hit, doch schon mit seiner nächsten Single, die er wieder als Solist aufnimmt, landet Jack White im Mai 1968 in "Musik aus Studio B". Obwohl es langsam bergauf zu gehen scheint, trennt sich Bertram nach einer weiteren Produktion von seinem Interpreten.
Jack White hält sich mit kleinen Auftritten, und vor allem mit seinem Job als Discjockey ganz gut über Wasser. Er will nun selbst Produzent werden und als er 1968 im Berliner Nachtclub "Red Rose" den Sänger Bob Telden hört, ist er von dessen Stimme so beeindruckt, dass er sich entschließt, ihn als Plattenstar aufzubauen.
Er fragt Hans Blume von der Hansa-Musikproduktion, mit dem er sich angefreundet hat, was man tun müsse, um Produzent zu werden. Blumes Antwort: "Du brauchst einen Künstler, zwei Lieder, einen Arrangeur und dann gehst Du ins Studio und machst die Aufnahmen. Das kostet alles in allem ein paar tausend Mark."
Jack White ist nun nicht mehr zu bremsen. Den Künstler hat er ja bereits und auch das nötige Kapital hat er sich gerade so zusammengespart. Als Arrangeur kann er Dieter Zimmermann anheuern, der ihm von Hans Blume empfohlen wurde. Nur die Songs fehlen, denn alle Komponisten, die er anspricht, sind nicht bereit, für einen Nobody wie ihn zu schreiben. Also nimmt er seine Gitarre, setzt sich hin, fängt selbst an zu komponieren und entdeckt, dass er so etwas kann. So wird er per Zufall zum Songschreiber und Texter.
Er geht mit Bob Telden ins Studio und produziert mit ihm die beiden Titel "Sieben weiße Rosen" und "Die Liebe ist ein Würfelspiel". Erst dann merkt er, dass er ja auch eine Firma braucht, die die Aufnahmen herausbringt. So klappert er mit seinen Bändern alle möglichen Plattenfirmen ab, doch keine zeigt sich interessiert. Erst bei der "Deutschen Vogue" hat er endlich Glück und es gelingt ihm, Bob Telden mit seinen Titeln dort unterzubringen.
Gleichzeitig kann er seine eigene Gesangskarriere fortsetzen. Dieter Zimmermann und Michael Holm schreiben ihm den Titel "Heut ist die Welt so schön", der 1969 bei Metronome veröffentlicht wird. Bereits mit der übernächsten Single, einer Coverversion des US-Hits "Take A Letter, Maria" erreicht Jack White 1970 Platz 10 in der Hitparade von Radio Luxemburg. Diesen Aufwärtstrend kann er mit der Eigenkomposition "Regen, Regen, Regen" noch steigern, denn damit platziert er sich in der Schlagerparade der Europawelle Saar, in der offiziellen Discotheken-Hitparade und sogar in den Verkaufscharts. Fernsehauftritte in der "Drehscheibe" und der "Aktuellen Schaubude" tragen zusätzlich dazu bei, dass seine Popularitätskurve stetig ansteigt.
Er kann sich aber nicht nur als Sänger etablieren, auch als Produzent schafft er den Durchbruch. Bob Telden kommt plattenmäßig zunächst zwar nicht über Achtungserfolge hinaus, doch mit einem anderen Interpreten hat Jack White mehr Glück.
"Als Kind war ich ein Fan des farbigen Sängers Kenneth Spencer", erzählt er, "und als mir dann eines Tages in Berlin Roberto Blanco über den Weg lief, dachte ich gleich, dass man mit dem vielleicht mal etwas machen könnte. Blanco lebte damals ja schon seit 10 Jahren in Deutschland und hatte etliche Platten herausgebracht, die aber alle gefloppt waren."
Es gelingt Jack White, den Produktionschef der Vogue von seinen Plänen zu überzeugen. Um Roberto Blanco mit der nötigen Medienunterstützung auf dem Markt zu positionieren, versucht man, mit ihm zum alljährlichen Schlagerwettbewerb zu kommen. Bei der Sitzung, in der die verschiedenen Plattenfirmen die zur Auswahl stehenden Titel untereinander aufteilen, bleibt ein Song auf der Strecke. Niemand interessiert sich für "Heute so, morgen so". Da greift Jack White kurzentschlossen zu, zieht das Lied für die Vogue an Land und meldet als Interpreten Roberto Blanco an.
"Alle haben damals gelacht", erinnert er sich, "aber gerade das hat meinen Ehrgeiz geweckt. Ich habe dann den Arrangeur beauftragt, den Song völlig umzukrempeln. Wir haben alle Streicher rausgenommen und stattdessen auf lateinamerikanisch gemacht."
Den Rest besorgt Roberto Blanco, der die Sache gar nicht so ernst nimmt. Noch 3 Minuten vor seinem Auftritt versucht Jack White, ihn in der Garderobe zu motivieren, damit er alles gibt. Und Roberto räumt tatsächlich ab, nicht nur beim Publikum im Saal, auch bei den Juroren. Am Ende steht er, auf den eigentlich niemand gesetzt hat, als Sieger da.
Für Jack White ein Riesentriumph. Doch eine schmerzliche Erfahrung folgt auf dem Fuß. Jeder reißt sich plötzlich um Roberto Blanco. Während vorher kein Hahn mehr nach ihm krähte, überhäufen ihn die Major-Companies nun mit Angeboten und statt Jack White dankbar zu sein, beendet er fristlos die Zusammenarbeit mit ihm und unterschreibt einen hochdotierten Vertrag bei der CBS.
Trotz dieser Enttäuschung wirkt sich der Sieg beim Schlagerwettbewerb natürlich auch für Jack White positiv aus. Plötzlich gibt man ihm Chancen. Namhafte Plattenfirmen zeigen Interesse an seinen Produktionen. Nach und nach baut er sich einen Künstlerstamm aus jungen, meist noch unbekannten Nachwuchstalenten auf, zu denen Tony Marshall, Jürgen Marcus, Nina & Mike, Liane Covi oder Tanja Berg gehören. Bereits 1971 ist es dann so weit. Nach ein paar wenig beachteten Singles landet Tony Marshall mit "Schöne Maid" einen Millionenseller, der für ihn zugleich Auftakt einer langen Hit-Serie ist. 1972 folgt Jürgen Marcus mit "Eine neue Liebe ist wie ein neues Leben". Und so geht es Schlag auf Schlag weiter. Jack White ist der ungekrönte König des Deutschen Schlagers.
Auch als Sänger ist er nach wie vor aktiv. Seit 1971 singt er für Telefunken und setzt überwiegend auf Eigenkompositionen. Doch obwohl er für andere Künstler reihenweise Hits schreibt, bleibt ihm selbst ein größerer Erfolg versagt.
Im Herbst 1972 entsteht der Spielfilm "Heute hau'n wir auf die Pauke", in dem Jack Whites Lebensweg vom Fußballer zum Erfolgsproduzenten nachgezeichnet wird. Natürlich spielt er selbst die Hauptrolle und auch alle seine Interpreten sind mit von der Partie. Anschließend nimmt er - immer noch für Telefunken - eine Coverversion von "City Of New Orleans" auf, einer Nummer im Country-Folk-Stil aus den amerikanischen Charts. Es ist seine 15. Single, die er unter dem Namen Jack White in deutscher Sprache herausbringt. Daneben hat er, zum Teil unter Pseudonymen, auch Titel in englischer Sprache veröffentlicht. Diesmal ist er felsenfest davon überzeugt, endlich auch als Sänger groß rauszukommen.
"Als ich mir nach der Aufnahme im Studio das fertige Band anhörte, bekam ich eine Gänsehaut nach der anderen. Und das ist etwas, worauf ich mich normalerweise verlassen kann", berichtet er, "da hab ich mir gesagt: Wenn das wieder nichts wird, gebe ich das Singen auf."
Die Platte floppt und tatsächlich zieht Jack White einen Schlussstrich unter seine Gesangskarriere. Die Telefunken bringt allerdings noch zwei Singles von ihm auf den Markt, doch die Titel, mit denen er hier zu hören ist, wurden bereits vorher für das Album "Mit all deiner Liebe" aufgenommen. Zu Jack Whites Ehrenrettung sei angemerkt, dass auch das Original von "City Of New Orleans" hierzulande völlig untergeht. Erst 1975 wird die Nummer in einer Spaß-Version mit Rudi Carrell unter dem Titel "Wann wird's mal wieder richtig Sommer" ein großer Erfolg.